Knapp hinter der Grenze: Schon in Freilassing sind die für Bayern typischen scharfen Kanten der Siedlungen zu sehen.

Foto: Bayerische Vermessungsverw

Salzburg - Winfrid Herbst - im Magistrat Salzburg für den Hausberg der Salzburger, den Gaisberg, zuständig - hat in Sachen Raumordnung einen drastischen Vergleich auf Lager: In Bayern "sind die Dörfer wie Kuhfladen auf einer Wiese verteilt". In Österreich aber habe die Kuh Durchfall gehabt, viele kleine Spritzer überzögen das Land.

Herbst hat diesen Vergleich im STANDARD-Gespräch bei einer Kundgebung gegen die Trassenführung der 380-kV-Leitung über den Gaisberg gezogen. Aufgrund der starken Zersiedelung fehlten eben Flächen und Korridore für Infrastrukturprojekte.

Fachleute wie der Fachreferent für Raumforschung und grenzüberschreitende Raumplanung der Salzburger Landesregierung, Franz Dollinger, bestätigen dies. So sei die Eisenbahnhochleistungstrasse von Attnang nach Salzburg Ende der 1990er-Jahre nicht zuletzt an der Riedelwaldsiedlung in Seekirchen (Flachgau) gescheitert. Die Existenz dieser Siedlung gehe auf eine Einzelbewilligung aus den 1970er-Jahren zurück. Die Kosten raumplanerischer Fehlentscheidungen von früher " tragen wir heute", sagt der Raumplaner.

Und was machen die Bayern anders? Warum findet man jenseits der Grenze statt ausgefranster Siedlungsränder meist klare Bebauungskanten, die genügend Freiflächen ringsherum lassen?

Unterschiede

Der wichtigste Unterschied sei, dass in Bayern der Raumplanungsvollzug, also die Flächenwidmung, nicht Sache der Bürgermeister und der Gemeindevertretung sei, sondern durch eine übergeordnete Behörde, die Kreisämter, erfolge, sagt die selbstständige Salzburger Raumplanerin Heidrun Wankiewicz. Weil aber hierzulande Gemeindepolitiker entscheiden, die sich der Wiederwahl stellen müssen, sei eine Kultur der Einzelbewilligungen entstanden.

Dass die Baubehörde in Bayern der Landrat sei, "ist das Element, das verhindert, dass individuelle Interessen zu stark durchkommen", bekräftigt Landesbeamter Dollinger. Bei den Nachbarn würde so den übergeordneten Planungsvorgaben - etwa dem Landesentwicklungsprogramm - eine höhere Bedeutung zukommen.

Er gießt das Problem in Zahlen: Allein in Salzburg seien in der Vergangenheit jährlich 500 bis 600 solcher Einzelbewilligungen erteilt worden. Dollinger weiß aus dem Studium von Sitzungsprotokollen, dass in manchen Salzburger Gemeinden fallweise 100 Prozent der jährlichen Bautätigkeit über Einzelbewilligungen abgewickelt worden sei.

Infrastruktur

Es ist wie bei der Infrastruktur: Für diese Sünden zahlen spätere Generationen. Durch den demografischen Wandel würden auch in den stark zersiedelten Landgebieten mehr Singlehaushalte mit älteren Menschen entstehen, prognostiziert Wankiewicz. Deren Versorgung - Stichwort "Essen auf Rädern" - werde hohe Kosten verursachen.

Bei allem Lob für "better practice" in Bayern wollen Dollinger und Wankiewicz die Sache dann doch etwas relativieren: Bei den raumplanerischen Vorbildregionen in Grenznähe handle es sich um tendenziell strukturschwächere Gebiete und nicht um boomende Regionen wie Salzburg oder den Flachgau. In der Region München etwa würde die Zersiedelung auch rasant fortschreiten. (Thomas Neuhold, DER STANDARD, 17.7.2012)