Blick auf den Schreibtisch einer Ärztin im weißen Mantel
Durchgetaktete Bewerbungsprozesse verlangen professionelle Begleitung der Bewerberinnen und Bewerber.
Giorgio Fochesato via www.imago-

STANDARD: Sie beobachten den Arbeitsmarkt für Spitzenpositionen im Gesundheitswesen seit vielen Jahren. Was ist besonders auffällig?

Nordegg: Die Professionalisierung. Detaillierte Ausschreibung, Vorauswahl durch Personalberater, komplexe Aufgabenstellungen in Assessment-Centern, steigende Anforderungen an das Konzept und die Beurteilung der Präsentation im Hearing. Alles ist von Personalprofis konzipiert und durchgestylt. Vom ersten Interview über psychologische Tests bis zu Rollenspielen und den Fragen im Hearing. Dem müssen die Bewerberinnen und Bewerber auf Augenhöhe begegnen können und dabei authentisch bleiben.

STANDARD: Klingt nach viel Vorbereitungsaufwand und -arbeit.

Nordegg: Ohne Unterstützung ist es schwierig. Die Ärztinnen und Ärzte, mit denen ich bisher gearbeitet habe, waren alle außergewöhnlich strukturiert. Alle top in ihrem Job, im In- und Ausland vernetzt, meist habilitiert, mit Auslandserfahrung und oft herausragende Persönlichkeiten. Die einen sind hervorragend in der Konzeption, andere genial im Vortrag. Aber fast niemand kann alles. Schreiben, konzipieren, präsentieren. Irgendwo gibt es immer Hürden. Die identifiziert man nur in der Diskussion, da braucht es den Blick von außen.

STANDARD: Sind solche Bewerbungen immer gecoacht?

Nordegg: Davon bin ich überzeugt. Ärztinnen und Ärzte haben wenig Zeit, sie stehen oft unter Druck. Sie holen sich maßgeschneiderte Unterstützung. Manche reden darüber, manche nicht.

STANDARD: Warum ist es noch oft ein diskretionäres Business?

Nordegg: Eine befreundete Tierärztin sagt immer, es gibt zwei Arten von Hundebesitzern. Die einen geben zu, dass ihr Hund im Bett schläft. Die anderen geben nicht zu, dass ihr Hund im Bett schläft.

STANDARD: Was sind die häufigsten Bewerbungsfehler?

Nordegg: Es wird zu wenig mit dem Kopf des Spitals gedacht. Wer sind die handelnden Personen? Was brauchen und erwarten diese? Wie tickt das Haus? Welche Werte werden dort gelebt? Man muss auch zwischen den Zeilen der Ausschreibung lesen, Homepage und Publikationen studieren, das Wording verinnerlichen. Für ein Primariat im katholischen Privatspital bewerbe ich mich anders als für eines im AKH.

STANDARD: Wie beginnt der Coachingprozess?

Nordegg: Man muss möglichst viele Informationen über das Spital, den Spitalserhalter und das Personal herausfinden. Mit wem kann ich und mit wem muss ich reden? Wer erzählt mir über die bestehenden Probleme? Was kommt auf das Haus und die Abteilung zu? Wer kann mit wem und mit wem nicht? Wie ist die Gesprächskultur? Wie werden Konflikte gelöst? Direktorium. Primarien. Pflege. Betriebsrat. Ethikbeirat, wenn es einen gibt. Alles Auskunftspersonen und wichtige Schritte in Sachen Lobbying.

STANDARD: Das geht aber schon sehr in die Tiefe, das braucht man doch eigentlich erst für das Hearing?

Nordegg: Nein, das ist der Anfang von allem. Da geht es um Grundsätzliches. Das ist die Basis für alle Unterlagen, damit das Ganze aus einem Guss wird und sich nirgends widerspricht. Warum habe ich mich für das Fach entschieden? Warum will ich die Leitung? Warum gerade in diesem Haus? Wie habe ich mich darauf vorbereitet? Was bringe ich mit? Was fehlt, und was kann ich stattdessen vorbringen? Beispielsweise die Führungserfahrung anhand von Einzelprojekten aus der beruflichen Praxis nachweisen.

STANDARD: Sich selbst zu loben – ist das auch in diesem Beruf schwierig?

Nordegg: Ja, das haben wir nicht gelernt. Die Selbstvorstellung ist schwierig. Wie präsentiere ich mich, meine Stärken? Wie argumentiere ich, dass ich der mit Abstand die geeignetste Kandidatin, der geeignetste Kandidat für diese Position bin? Wie trete ich als kompetente, fachlich anerkannte Führungspersönlichkeit und trotzdem kollegialer netter Mensch auf, ohne überheblich zu wirken? Da geht es um Themen wie Kommunikationskultur, Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Konfliktmanagement und vieles mehr. Und es geht um Authentizität. Das ist immer vorrangig.

Maria Theresia Nordegg spricht in eine Kamera
Maria Theresia Nordegg ist Geschäftsführerin des Kommunikationslabors.
Kommunikationslabor

STANDARD: Wir sprechen jetzt nicht von den Überfliegern, die eh alles wissen, die kommen ja nicht zu Ihnen.

Nordegg: Doch. Gerade die. Sie sind extrem zielorientiert und professionell. Ein Bewerbungsprozess hält andere Herausforderungen bereit als ihr Job. Dabei gibt es introvertierte und extrovertierte Klientinnen und Klienten. Grundsätzlich ist es ist viel einfacher, Weltmeister der Selbstpräsentation einzubremsen, als zurückhaltende, bescheidene Persönlichkeiten ins Rampenlicht zu holen. Wir hatten schon Fälle, da hat einer als interimistischer Leiter über Jahre eine Abteilung erfolgreich umgekrempelt und dann in der Präsentation nur die Leistungen der Mannschaft beschrieben anstatt die eigenen im Change-Prozess. Frauen sind im Übrigen in der Regel noch zurückhaltender. Sie stellen ihr Licht viel häufiger unter den Scheffel als ihre männlichen Kollegen.

STANDARD: Wann geht's dann wirklich los mit der Bewerbung?

Nordegg: Wenn ich mir über mich selbst, meine Motivation und meine Möglichkeiten klar bin. Dann kann vieles schon im Curriculum Vitae und im Motivationsschreiben eingebaut werden. Auch das ist oft Ergebnis einer intensiven Diskussion. Aus einem Wust an Informationen und einer Vielzahl von Möglichkeiten der Darstellung auswählen, sich klar für eine Geschichte entscheiden und diese dann erzählen. Das ist eine journalistische Aufgabenstellung. Das macht mein Mann. Er hat lange für Print und Fernsehen gearbeitet und macht jetzt Themenentwicklung und Medientrainings für Unternehmen. Wir erarbeiten und schreiben das gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten, genauso, wie wir alle Unterlagen, Konzepte und Präsentationen gemeinsam anfertigen. Beratung alleine ist zu wenig.

STANDARD: Worum geht es bei den abzuliefernden Konzepten?

Nordegg: Die Entwicklung der Abteilung, Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen, Einbettung in einen bestehenden Verbund, Personalentwicklung, Recruiting, Budgetierung, Drittmittel, Patienten-Akquisition. Und alles andere, was in der Ausschreibung gefordert wird.

STANDARD: Wann beginnt die Arbeit an der Bewerbung eigentlich?

Nordegg: Start ist so früh wie möglich, spätestens mit der Ausschreibung. Zeit ist ein knappes Gut. Fristen sind meistens kurz, und Ärztinnen und Ärzte sind vielbeschäftigt. Unsere Antwort ist 24/7. Meetings am Tagesrand und Wochenende selbstverständlich. Besonders beliebt ist der Morgentermin nach dem Nachtdienst. Kaffee und Frühstück inklusive. Zoom hat sich als Ergänzung zum persönlichen Gespräch gut bewährt.

STANDARD: Es gibt natürlich keine Erfolgsgarantie ...

Nordegg: Nein, natürlich nicht. Die besten Bewerberinnen und Bewerber gehen ins Hearing. Daraus ergibt sich der Dreier-Vorschlag. Eine oder einer wird Primaria, Primar. Und, auch das muss man dazusagen, manchmal steht das Ergebnis schon von vornherein fest. Von manchen Klienten wird die erste Bewerbung auch als Generalprobe gesehen. Erstens ist die nächste Bewerbung einfacher, weil vieles wieder verwendet werden kann. Zweitens profitiert man in jedem Fall. Eine Klientin ist in einem Verbund einiger Regionalspitäler für die Koordination zuständig und hat uns erzählt, dass sie seit dem Auftritt im Hearing plötzlich mit den Primarien auf Augenhöhe ist. Ein anderer ist erfolgreich in die Privatwirtschaft gewechselt. Und drittens kommt immer die Aussage: "Ich habe viel über mich gelernt." (Karin Bauer, 10.4.2024)