Klimawandel, Wald, Zukunft
Boreale Nadelwälder gehören zu den größten Verlierern des Klimawandels. Schon jetzt sind sie einem steigenden Risiko durch Brände ausgesetzt, wie hier in Kanada.
APA/AFP/ED JONES

Es braucht Mut, ein Szenario für die kommenden 500 Jahre aufzustellen. Vor allem wenn es dabei um etwas so Komplexes wie den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Erde geht. Genau das jedoch hat ein internationales Team von Forschenden der ETH Zürich und anderer Universitäten nun versucht. Anstatt wie die meisten Projektionen zum Klimawandel nur bis ins Jahr 2100 zu blicken, gingen sie in einer aktuellen Studie bis ins Jahr 2500. Der Grund: Selbst wenn es die Menschheit schafft, bis Ende des Jahrhunderts keine Treibhausgase mehr auszustoßen, könnte der Klimawandel auch danach weiter voranschreiten.

Das Ergebnis ist je nach Klimaszenario nicht gerade erbaulich. Wenn die Erderwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts zwei bis drei Grad beträgt, wären bis 2150 rund 35 Prozent der Landflächen auf der Erde für die aktuell dort lebenden Arten nicht mehr geeignet. Bis 2500 könnten es sogar 40 Prozent sein.

Wüsten sind "Gewinner"

Die größten Einbußen wird es den Forschenden zufolge in den kälteangepassten Regionen in den nördlichen Breiten geben, etwa im borealen Nadelwald und in der Tundra. Bestimmte Arten der Tundra mit den dazugehörigen Pflanzen und Tieren könnten bis 2160 komplett von der Erde verschwinden. Diese Regionen seien durch die Erwärmung schon jetzt besonders anfällig für Brände und Schädlinge. Wenn beispielsweise boreale Nadelwälder verschwinden, gehe dadurch nicht nur eine wichtige Rohstoffquelle für Holz, sondern auch eine wichtige CO2-Senke verloren, heißt es von den Forschenden.

Zu den "Gewinnern" über die nächsten 500 Jahre könnten hingegen Graslandschaften, tropische Buschlandschaften und Wüsten zählen. Diese Landschaften könnten sich in Zukunft noch weiter ausbreiten, sofern sie nicht von menschlichen Eingriffen beschränkt werden.

Anpassung möglich

Klar ist: Für viele Tiere und Pflanzen wird der Lebensraum in 500 Jahren gänzlich anders aussehen als heute. Wie sehr sie es schaffen, sich an die Veränderungen anzupassen, hänge laut den Forschenden vor allem davon ab, wie schnell diese Veränderungen passieren. Erwärmt sich die Erde bei einem ambitionierten Klimaschutz nur langsam, werden sich auch die Lebensräume nur schrittweise verschieben und zum Teil weiterhin mit den alten überlappen. Dadurch bleibe für Tiere und Pflanzen die Möglichkeit, in andere Gegenden zu migrieren.

Bei einer zu raschen Erwärmung könnte sich die Biome in den kommenden Jahrzehnten jedoch in gänzlich neue Gebiete verschieben, die auch nicht mehr an die alten Lebensräume angrenzen. Das könne beispielsweise auf den borealen Nadelwald zutreffen. Wälder können Schätzungen zufolge rund 100 Meter bis zehn Kilometer pro Jahr "wandern". Da das für die klimatischen Veränderungen zum Teil zu langsam ist, könnten viele boreale Nadelwälder künftig nur rund ein Viertel bis die Hälfte ihres potenziell geeigneten Lebensraumes einnehmen. Umso größer die Entfernungen zwischen den alten und den neuen Lebensräumen sind, desto schwieriger werde es für Pflanzen und Tiere, dorthin zu migrieren. Stattdessen könnten sich in diesen Gegenden dann künftig andere Arten ausbreiten.

Pflanzen neu ansetzen

Laut den Forschenden sollte die Menschheit deshalb darüber nachdenken, bedrohte Baumarten wieder in klimatisch günstigeren Regionen anzusetzen. Dadurch könnte es jedoch auch zu neuen Konflikten um Platz und Ressourcen kommen. Zudem sei auch dann nicht gewiss, dass die Arten in den neuen Lebensräumen überleben werden.

In Österreich ist es vor allem die Fichte, die in Zukunft stark unter dem Klimawandel leiden könnte. Jahrzehntelang wurde sie in großem Stil aus wirtschaftlichen Gründen angepflanzt, nun macht ihr vor allem in niedrigen Lagen die Trockenheit zu schaffen. Forschende sowie Försterinnen und Förster versuchen deshalb, die Baumartenvielfalt in den Wäldern wieder zu erhöhen, sodass bestimmte Baumarten "einspringen" können, wenn andere ausfallen. Mitunter werden dabei auch neue Baumarten aus dem Süden angepflanzt, die mit hohen Temperaturen und Trockenheit besser umgehen können.

Viele Unsicherheiten

Freilich sind die weitreichenden Prognosen der Forschenden aus der Studie mit vielen Unsicherheiten verbunden. Einerseits haben sie nicht den Anstieg des Meeresspiegels mitberücksichtigt, der ebenfalls zu einer großen Veränderung vieler Lebensräume führen dürfte. Andererseits ist einer der größten Unsicherheitsfaktoren der Mensch. Je nachdem, wie gut der Klimaschutz in Zukunft gelingt, unterscheiden sich auch die Auswirkungen. Technologien wie CO2-Abscheidung und -Speicherung könnten künftig ebenfalls einen Teil der Erwärmung rückgängig machen.

Wie sehr sich Städte und Ackerflächen in den kommenden Jahrzehnten ausdehnen könnten, haben die Forschenden ebenfalls nicht berücksichtigt. Viele Arten, die sich in neuen Lebensräumen ausbreiten, wurden bereits in der Vergangenheit vom Menschen eingeschleppt, was sich auch in Zukunft fortsetzen dürfte. Trotz dieser Unsicherheiten hat es laut den Forschenden einen Wert, weit vorauszuschauen – nicht zuletzt, um rechtzeitig auf diese Entwicklungen zu reagieren. (Jakob Pallinger, 14.4.2024)