Diese Familie ist so wie viele andere aus dem Sudan geflüchtet.
Diese Familie ist so wie viele andere aus dem Sudan geflüchtet.
REUTERS/Zohra Bensemra

Wohl nur selten hat ein Krieg eines vergleichbaren geopolitischen Ausmaßes so wenig internationale Aufmerksamkeit erregt wie der im Sudan. Dort sorgen rivalisierende Golfstaaten und afrikanische Hegemonialmächte dafür, dass den bewaffneten Akteuren die Mittel nicht ausgehen. Auch der Iran mischte zuletzt mit Drohnenlieferungen an Sudans Armee mit. Denn Teheran erhofft sich einen Militärstützpunkt in der Küstenstadt Port Sudan am Roten Meer. Für den Westen wäre das ein Albtraum, aber auch für das nahe gelegene Saudi-Arabien – wohl vor allem wegen der einflussreichen Hegemonialmacht blitzte der Iran bislang bei den sudanesischen Generälen ab.

Die iranischen Drohnen verpflichten aber durchaus zur Dankbarkeit, sie hatten ein beachtliche Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Kampf gegen die aus einer paramilitärischen Miliz hervorgegangenen Rapid Support Forces (RSF) zur Folge. Aber auch nicht genug für deren Niederlage, schließlich werden die kräftemäßig lange ebenbürtigen RSF weiterhin kaum getarnt von den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Waffen unterstützt.

Europa, absorbiert von den Kriegen in Gaza und der Ukraine, überließ die erfolglosen Vermittlungsversuche und Gipfel bislang der vorrangig betroffenen Region – oder man hoffte auf Impulse der in dieser Frage besonders gelähmt wirkenden Vereinten Nationen. Insofern ist es bemerkenswert, dass am Montag in Paris die "Internationale Humanitäre Konferenz für den Sudan und seine Nachbarn" stattfindet, die Deutschland, Frankreich und die EU auf Ministerebene ausrichten. Der Termin fällt auf ein symbolisches Datum: Es ist der erste Jahrestag des Beginns der Kämpfe. Und wahrscheinlich nicht der letzte, bis eine Lösung gefunden ist.

Kaum Geld für Hilfe

Vorwiegend wird es in Paris um die katastrophale Unterfinanzierung der größten Binnenflüchtlingskrise der Welt gehen. Fast neun Millionen mussten fliehen, das ist jeder Fünfte im Sudan. 1,8 Millionen haben in Nachbarstaaten wie dem Tschad, dem Südsudan oder der Zentralafrikanischen Republik Zuflucht gesucht. Wer dort um Hilfe bittet, der fürchtet wahrlich um sein Leben.

Zu Recht, knapp 15.000 Menschen starben bislang im Bürgerkrieg. Und jeder dritte Überlebende ist auf Nahrungsmittelnothilfe angewiesen. Doch von den 2,7 Milliarden Dollar, die von der Uno für die humanitäre Versorgung in diesem Jahr veranschlagt wurden, sind ganze sechs Prozent gedeckt. Es droht eine der gravierendsten Hungersnöte seit Jahrzehnten.

Doch die Unterfinanzierung ist nur einer der einwirkenden Faktoren. Beide Kriegsparteien behindern auch immer wieder den Zugang für Hilfe in die vom Feind kontrollierten Gebiete. So ist die Darfur-Region im Westen wohl auf Jahre hin fest in RSF-Hand. Sudans Militärregierung versucht aber die RSF-Einbindung in Lieferungen zu unterbinden. Man betrachtet das als ihre Legitimierung, verbittet sich sogar die gängige Formulierung "die beiden rivalisierenden Parteien". Bei den RSF handle es sich schlicht um eine Miliz.

Kritik vom Botschafter

So sind zumindest die politischen Ambitionen der Konferenz zum Scheitern verurteilt, schließlich will man laut dem französischen Außenministerium auch "regionale und internationale Friedensinitiativen unterstützen". Im Vorfeld aber echauffierte sich Sudans Botschafter in Paris, Khaled Farah, gegenüber der Nachrichtenseite "Asharq Al-Awsat" über eine vermeintliche Begünstigung der RSF durch die Konferenz. Diese seien "über politische Verbündete und Sympathisanten implizit vertreten", während es keine Einladung an die Militärregierung gegeben habe.

Es handle sich um den Versuch, die RSF zu stärken, "unter dem Vorwand der Besorgnis über die Tragödie des sudanesischen Volkes", wütete Farah. Beide Seiten werden auch nach Paris weiterkämpfen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Zumal es international kaum Druck auf die Länder gibt, die diesen Flächenbrand mit ihren Lieferungen anfachen.

Rauchschwaden über Khartum.
Vor allem zu Beginn des Bürgerkriegs waren über der sudanesischen Hauptstadt Khartum immer wieder Rauchschwaden zu sehen.
REUTERS/Mohamed Nureldin Abdalla

Man fragt sich beim Blick nach Paris allerdings auch, ob unter den ebenfalls eingeladenen sudanesischen Zivilisten auch die wichtigsten Repräsentanten der Protestbewegung sind, die diese verkrustete Diktatur im Jahr 2019 so nah wie nie an einen demokratischen Systemwandel geführt hatten. Der Widerstand formierte sich damals in tausenden Nachbarschaftskomitees, Zusammenschlüssen von Zivilisten an der Basis. Sie werden von vielen Demonstranten noch heute als die einzige legitime Vertretung des Volkes wahrgenommen, nachdem sich Parteien, Gewerkschaften und Verbände oft völlig gespalten präsentierten.

Virtuelle Notfallzentralen

Aus diesen freilich ebenfalls nur dürftig verknüpften Freiwilligennetzwerken sind nun vielerorts die Emergency Response Rooms (ERR) hervorgegangen – meist virtuelle Notfallzentralen, über die Unterkünfte für Vertriebene organisiert werden, Medikamente und Nahrung verteilt wird. Eine Manifestierung der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft, die weniger präsent in Sudans Geschichtsschreibung ist als Gewalt und Unterdrückung, aber nicht minder prägend. Willkommen als ERR-Helfer ist jeder – mit Ausnahme von Mitgliedern und Sympathisanten der NC-Partei des ehemaligen Diktators Omar al-Bashir, die inzwischen wieder weite Teile der Armee kontrollieren.

"Wir sind nicht eingeladen worden", sagt Maryam Elfaki, eine der Wortführerinnen der ERR. Zu berichten hätte sie einiges. Wie die Aktivisten in den ersten Tagen des Krieges mit der Evakuierung von Menschen aus besonders umkämpften Gegenden begannen, unter Lebensgefahr Lebensmittel und frisches Wasser von Haus zu Haus brachten. "Das waren keine politischen Parteien, das waren wir", sagt Elfaki.

Der Politik ist es nie gelungen, die Revolution institutionell tief genug zu verankern. Doch die ohnehin seit Jahren schwierige Suche der internationalen Gemeinschaft nach Zivilisten, die große Teile des Volkes repräsentieren, ist seit dem Krieg noch schwieriger geworden. Denn allein ein Drittel der Bevölkerung des Bundesstaats Khartum ist geflüchtet. Darunter war die Mehrheit der politischen und wirtschaftlichen Elite.

Gegenseitige Sabotage

Auch Elfaki ist geflohen und hilft von Frankreich aus bei der Finanzierung der Notfallzentralen. Eine schwierige Aufgabe, weil die Konfliktparteien immer wieder das Internet in den jeweils vom Feind kontrollierten Gegenden sabotieren und so wochenlang kein Geld überwiesen werden kann. An einigen Stellen ist über eingeschmuggelte Router Internet per Satellit verfügbar, doch das kann sich kaum jemand leisten. Auch das Nötigste kommt oft nicht ins Land: etwa Mittel, mit denen Opfer der unzähligen Vergewaltigungen Schwangerschaften verhindern können.

Neulich gelang es Elfaki, mit einer ehemaligen Nachbarin in Khartum zu telefonieren. Deren Kinder können, wie 19 Millionen im Land, nicht zur Schule gehen. Also spielen sie auf den Straßen der umkämpften Hauptstadt. "Sie spielen den Krieg nach, mimen Scharfschützen", sagt Elfaki. "Die einen sind die Armee, die anderen RSF."

Der Krieg, der Tod, das tägliche Leid sei nach einem Jahr Normalität geworden. Dieses Trauma, da ist sich Elfaki sicher, wird den Kindern ihr Leben lang anhaften. (Christian Putsch, 15.4.2024)