Das Porn Film Festival Vienna will auch einen Bildungsauftrag erfüllen – und eine Debatte über Sexualität anstoßen. Heuer ging es zum siebten Mal über die Bühne.
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Es erscheint ungewöhnlich, wenn die Stadt Wien und eine Webseite für Hentais, also animierte Pornos aus Japan, ein und denselben Event sponsern. Aber das bleibt nicht die einzige Überraschung, die man als Besucherin des Porn Film Festival Vienna erlebt.

Der Name ist dort zwar Programm, hat aber nichts mit der Mainstream-Pornografie von Youporn und Co zu tun. "Natürlich spiegeln die auf diesen Portalen gezeigte Misogynie, die Stereotype oder der Rassismus ein Stück weit die Gesellschaft", sagt Jasmin Hagendorfer, gemeinsam mit Yavuz Kurtulmus Direktorin des Festivals. Damit wolle man genau deshalb brechen – und zeigen, wie Pornografie und ihre Herstellung "ethisch und auch feministisch funktionieren können". Das findet Anklang. Das Schikaneder-Kino, in dem das Festival heuer zum siebten Mal stattfand, war gut besucht.

Schlechter Ruf

Wenn von Pornografie die Rede ist, dann geht es meist um die Onlineportale Pornhub oder XVideos. Mit Milliarden Klickzahlen monatlich rangieren sie nach Google, Youtube und Facebook unter den meistgenutzten Websites weltweit. Der Ruf dieser Portale ist nicht ohne Grund schlecht. So musste Pornhub 2021 den Großteil seiner Videos entfernen, nachdem ein Artikel in der New York Times das Schicksal mehrerer Betroffener geschildert hatte, deren Missbrauch auf der Plattform zu sehen war. Noch Jahre später luden Unbekannte diese Videos immer wieder auf den Seiten hoch. Heute lässt Pornhub nur noch verifizierte Inhalte zu.

Seitdem habe sich viel getan, sagt Paulita Pappel zum STANDARD. Sie ist eine der bekanntesten feministischen Pornoproduzentinnen im deutschsprachigen Raum, hat mit anderen Pornogranden wie der schwedischen Pionierin Erika Lust gearbeitet – und ist Mitorganisatorin des viel größeren deutschen Pornfilmfestivals in Berlin.

Konsum liege in der eigenen Verantwortung

Natürlich könne man an den sogenannten "Tube-Seiten" nach wie vor vieles kritisieren, findet Pappel. Trotzdem hätten gerade die Darstellerinnen heute mehr Macht denn je. "Mittlerweile haben alle ein Handy, können ihre Inhalte selbst produzieren und sich über soziale Medien vermarkten." Da Pornografie auf den meisten Social-Media-Plattformen wie Tiktok oder Instagram strikt verboten ist, bewerben Influencer sich und ihre Inhalte dort sexy, aber jugendfrei. Die Nacktbilder und expliziten Amateurvideos verkaufen sie dann über Plattformen wie Onlyfans direkt an die Kundinnen und Kunden. "Das macht die Darstellerinnen viel unabhängiger." Und wenn es "langweilig" werde, könnten sie immer noch bei professionellen Studios anheuern, sagt Pappel. Das habe die "Machtstrukturen komplett verändert".

Pornografie und auch Sexualität würden in der öffentlichen Wahrnehmung noch häufig als etwas Gefährliches, Schädliches wahrgenommen, sagt sie. "Ich finde es tendenziös, die Debatte über Pornografie daran aufzuhängen, wie schädlich Pornos sind." Zwar seien Tube-Seiten populär, aber letztlich sei doch jeder User oder jede Userin selbst dafür verantwortlich, ob man Produktionen unterstütze, bei denen korrekte Bedingungen herrschen.

Ein besonderer Hunger

Wie solche Filme aussehen könnten, will das Wiener Festival zeigen – und nimmt dabei auch auf eher spezielle Interessen Rücksicht. Da wäre etwa der Film Food Love, der im Screening "Austrian Shorts" gemeinsam mit anderen Produktionen aus Österreich gezeigt wurde. Nachdem ein junger Mann sorgfältig ein dreigängiges Menü gekocht hat – dem widmet sich ein Großteil des Films –, erweckt dies in ihm einen ungewöhnlichen Hunger. Er schmiert sein Glied mit Zwiebelsuppe ein, penetriert eine Gemüsequiche und ejakuliert in eine Crème brûlée. Das ist für manche antörnend, für andere so schräg, wie es sich liest. Entstanden sei der Film als Projekt im Studium, erzählen die Produzenten Magdalena Mayr und Max Hase. Ihr Werk sei inspiriert von Sigmund Freuds Sexualtheorien und der Sexualrepression nach Karl Marx. So hätte man sich Foodporn wohl nicht vorgestellt.

Andere Filme zeigen Sexualpartner beim Koitus, diverse Stellungen, manchmal sind auch queere Paare zu sehen. "Wir wollen, dass unser Festival mit Scham und Stigmata bricht, die im Zusammenhang mit Sexualität und Pornografie vorherrschen", sagt Festivaldirektor Kurtulmus. Weil das Festival so auch zur Sexualbildung beitrage, werde es von der Stadt Wien unterstützt.

Die Festivaldirektoren Yavuz Kurtulmus und Jasmin Hagendorfer.
Florian Lehner

Tentakel-Pornos

Einen unerwarteten Lerneffekt liefert die Vorführung mehrerer Filme einer Hentai-Plattform. Die populärste Kategorie für die animierten Pornos auf seiner Seite, erklärt Anbieter Sinan Şahin, sei "Tentakel".

Was das bedeutet? Hier das Konzept eines dieser Knüller: Mehrere Schülerinnen sind mit Tentakeln "infiziert". Diese wachsen aus allen möglichen Körperöffnungen – und sind sexuell übertragbar. Entstanden sei das Genre laut Şahin durch ein Verbot: Japan untersagte die Darstellung von Genitalien, weshalb die Produktionsstudios kreativ wurden, um die Zensur zu umgehen – die Geburtsstunde des Tentakel-Pornos.

Im Film OrlandoMy Political Biography interpretiert der Philosoph Paul B. Preciado den Roman Orlando von Virginia Woolf neu. Tragisch-humoristisch stellt er die Hürden dar, in der Moderne trans zu sein.

Letztlich gehe es bei dem Festival auch darum, zu einem Diskurs über Sexualität beizutragen. Manchmal mit Erregung, manchmal mit Schockszenen. In all ihren Facetten eben. (Muzayen Al-Youssef, 16.4.2024)