Nach dem zweiten Messerangriff innerhalb von nur drei Tagen geht in Sydney die Sorge vor Unruhen um. Montagabend hatte ein junger Mann in einem assyrischen Gotteshaus in einem Vorort der größten australischen Stadt den Bischof der Kirche und einen Priester mit einem Messer angefallen. Die Polizei geht von einem Terroranschlag aus.

Der Angriff erzielte auch deshalb besondere Schockwirkung, weil er im Internet live übertragen wurde: Auf Aufzeichnungen eines Streams ist zu sehen, wie Bischof Mar Mari Emmanuel gerade eine Predigt hält, als langsamen Schrittes eine schwarzgekleidete Figur mit schwarzem Bart auf ihn zugeht. Dann sticht der Angreifer mehrfach zu – und wird wenig später von Angehörigen der Gemeinde selbst überwältigt.

Der Angriff wurde live im Internet übertragen.
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Insgesamt gab es bei der Attacke sechs Verletzte. Der 53-jährige Bischof und ein Priester mussten operiert werden. In Lebensgefahr ist laut Berichten aber niemand. Der Täter wurde ebenfalls verletzt, er soll einen Finger verloren haben. Bis er die Kirche verlassen konnte, verging allerdings einige Zeit: Die Polizei musste ihn zu seinem eigenen Schutz zunächst dort festhalten. In Windeseile hatte sich vor dem Gotteshaus nämlich eine wütende Menge gebildet: Sie warf mit Ziegelsteinen, Betonstücken und Teilen eines Gitterzauns nach der Polizei und deren Autos.

Nur wenige Stunden später teilte die Polizei mit: Man gehe von Terror aus. Nach australischer Rechtslage ist dafür nötig, dass es für eine Tat ein politisches oder ideologisches Motiv gibt. Anders als beim Messerangriff vom Samstag, als ein junger Mann in einem Einkaufszentrum offenbar gezielt Frauen angegriffen und sechs Personen getötet hatte, ist das diesmal nach Sicht der Behörden der Fall. Worin genau das Motiv des Angreifers bestand, lassen die Behörden offiziell vorerst offen.

"Beleidigung des Propheten"

Der Chef des australischen Inlandsnachrichtendienstes Asio, Mike Burgess, bestätigte aber die Existenz eines Videos, in dem der Mann nach seiner Überwältigung Beleidigungen des Propheten Mohammed beklagt. "Hätte er nur über seine eigene Religion gesprochen, wäre ich nicht hier", sagt er in dem Video weiter. Die Polizei bestätigte außerdem, dass der erst 16-Jährige wegen Drohungen mit einem Messer – allerdings ohne politischen Hintergrund – bereits eine auf Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe hatte.

Prime Minister Anthony Albanese addresses Sydney church terror event | 9 News Australia
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Premier Anthony Albanese versuchte in seinem Statement nach der Tat das Thema jedenfalls zu umschiffen. Die Frage, ob man die Religion des Angreifers kenne, wollte der Labor-Politiker nicht beantworten: Es sei besser, wenn nur die Ermittler sich dazu äußerten, sagte er nur. Australien sei "ein friedliebendes Land" und eine harmonische Gesellschaft. Dass sich der bei vielen Gelegenheiten stolz auf sein multikulturelles Erbe berufende Staat der Harmonie nicht ganz so sicher ist, zeigt allerdings die Hektik, mit der Politiker nach der Tat Vertreter der muslimischen, assyrischen und melkitischen Communitys zusammenriefen, um ein Statement gegen alle Formen der Gewalt zu unterzeichnen.

Radikalität und Segnung

Auch die von Bischof Mar Mari Emmanuel geleitete assyrische "Christ the Good Shepherd"-Kirche veröffentlichte eine ähnliche Äußerung, die als besonders wichtig gilt, weil sie mit der Hoffnung verbunden ist, die Wogen in Fairfield zu glätten. Die rund 200.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Vorstadt im Westen von Sydney gilt nicht nur als besonders vielfältig, sondern auch als eine Art Zentrum der insgesamt etwa 60.000 Mitglieder zählenden assyrischen Gemeinde in Australien. Rund zwölf Prozent der dort lebenden Menschen sprechen laut einer Erhebung auch heute noch zu Hause assyrisch-neuaramäische Dialekte. Auch zum Islam bekennen sich in Fairfield mit 8,5 Prozent rund 50 Prozent mehr Menschen als insgesamt in Sydney.

Polizeieinsatz vor der "Christ the Good Shepherd"-Kirche, wo sich der Terroranschlag abspielte.
via REUTERS/AAP

Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass die von Bischof Emmanuel geleitete Kirche eine Abspaltung der als Mainstream geltenden Assyrische Kirche des Ostens ist, die im Norden Syriens, des Iraks und des Irans ihre Heimat hat. Emmanuel war aus dieser Kirche Ende der 2000er-Jahre ausgeschlossen worden. Er hatte mit seinen im Internet live verbreiteten Auftritten vor allem während der Corona-Pandemie allerdings mehr als 250.000 Follower eingesammelt und teils weit über die Grenzen Fairfields hinaus gewirkt. Seine Ansichten zur Pandemie (die er infrage stellte), zur Homosexualität (die er verteufelte) und zu anderen Religionen wie dem Islam oder dem Judentum (die er beide kritisierte) können dabei durchaus als radikal bezeichnet werden. Nach der Tat am Montagabend soll er seinem Angreifer die Hand aufgelegt und ihn gesegnet haben.

Nicht alle Anhänger dürften den Ruf zum Gewaltverzicht bereits angenommen haben: Eine in der Nähe befindliche Moschee hat in der Nacht Drohungen mit einem Angriff "mit Brandbomben" erhalten. (Manuel Escher, 16.4.2024)