Er hat Angst, wie es mit ihm weitergeht, was jetzt passiert. Er, der nie "ein Ghettojunge" sein wollte, muss ins Gefängnis. Kalle ist gerade mal 17 Jahre alt. Verurteilt wurde er wegen schwerer Körperverletzung, mehr als zwei Jahre soll er absitzen.

Zu diesem Zeitpunkt kennen ihn die Filmemacher Tine Kugler und Günther Kurth schon länger. Über einen Zeitraum von rund zehn Jahren haben sie Kalle für ihre dokumentarische Langzeit-Milieustudie Kalle Kosmonautjetzt neu in der ZDF-Mediathek – immer wieder getroffen.

Schaut in eine unsichere Zukunft: Kalle im Alter von 14 Jahren.
Schaut in eine unsichere Zukunft: Kalle im Alter von 14 Jahren.
ZDF und Günther Kurth

Ein Leben, viele Träume

Kennengelernt haben die Regisseure Kalle, der eigentlich Pascal heißt, im Berliner Kinder- und Jugendwerk Die Arche während eines Drehs über Schlüsselkinder.

Sehr reflektiert und offen erzählt der damals Zehnjährige über sein Leben und vor allem seine Träume. Er mag Fußball, Uno spielen mit seiner Mama, die ihn allein aufzieht, dort in der trostlosen Allee der Kosmonauten in Berlin-Marzahn, in der bunte Graffiti-Blumen an den Mauern ein bisschen Farben in das Grau bringen.

"Pascal, wenn du wach bist, rufe mich bitte an. Dann esse was und ziehe dich an. Kein Blödsinn. Fernseher bitte auslassen", schreibt sie ihm am Morgen. Ihre Frühschicht beginnt, da schläft er noch. "Schon damals war klar, dass dieser zehnjährige Junge besondere Qualitäten für einen Film mitbringt, weil er sich gut ausdrücken kann und reflektiert ist. Weil er Freude an der Auseinandersetzung mit sich selbst hat – weil er uns berührt", sagen die Filmemacher. Kalle wächst ohne Vater auf, die Sehnsucht nach ihm wird immer wieder spürbar. Er kämpft um Anerkennung.

Kalle mit seiner ersten Freundin.
Kalle mit seiner ersten Freundin.
ZDF und Günther Kurth

"Er ist ein lieber Kerl, er ist mir nie dämlich oder blöd rübergekommen", sagt die Grätzel-Polizistin über ihn, sie mag ihn, schätzt ihn, "er ist zu intelligent, ein blöder Mitläufer zu sein". Wir erleben seine erste Liebe, seine Scherze mit der Mama und deren neuem Partner. Und doch merkt man immer wieder seine Zerrissenheit, sein Hadern. Kurth und Kugler lassen Kalle erzählen, geben keine Tipps und bauen so eine Nähe, die ihn offen reden lässt.

Wer hat Schuld?

"Ich bin mit der Straße gewachsen. Bin ein Stück Asphalt, das da irgendwo rausgebrochen ist", sagt er einmal. Die Mutter macht sich Vorwürfe. Wer ist schuld, dass er so geworden ist, wie er ist? Nach der Wende sei alles schiefgelaufen, beklagt Kalles Opa, die Oma war Alkoholikerin. In seiner Kindheit war Kalle viel bei ihr, "ich war kein gutes Vorbild", bereut die Oma. Jetzt hat er mit Musik sein Ventil, beim Rappen wirkt er bei sich. Und bei jenen Szenen, bei denen er erzählt, wie er als Vater sein will. "Du musst als Papa da sein." (Astrid Ebenführer, 16.4.2024)