Tamuna Sirbiladzes
Tamuna Sirbiladzes "Kotzen" aus dem Jahr 2005 – in jener Zeit widmete sich die Künstlerin dem, was als "unweiblich" galt.
Johannes Stoll belvedere Wien

In der Kunstgeschichte gibt es unzählige Beispiele, die nahelegen, dass es nicht immer einfach ist, als Künstlerin und Frau eines berühmten Künstlers zu bestehen. Dora Maar etwa gab nach der Trennung von Pablo Picasso die Fotografie lange auf und kämpfte mit Depressionen. Françoise Gilot, die angeblich einzige Frau, die Picasso je selbst verlassen hatte, gelang es danach nur mit großen Anstrengungen, ihre Kunst zu zeigen – der spanische Maler drohte Galerien, die Gilots Bilder ausstellen wollten, und ging juristisch gegen sie vor.

Die österreichisch-georgische Malerin Tamuna Sirbiladze war mit Franz West bis zu dessen Tod 2012 verheiratet, was auch ihr oft den unliebsamen Status als die "Frau von" einbringen sollte. Tatsächlich lebten die beiden aber als gleichwertige Kollegen und pflegten einen fruchtbaren künstlerischen Austausch: Das Belvedere 21 widmet ihr – sie starb 2016 an einer Krebserkrankung – mit der Schau Not Cool but Compelling jetzt eine erste umfassende und längst überfällige institutionelle Retrospektive.

Digitale Medien

Tamuna Sirbiladze wird 1971 in Tiflis geboren und besucht ab 1989 die dortige Kunstakademie. In ihrem in Georgien entstandenen Frühwerk arbeitet sie sich sozusagen an der klassischen Moderne ab, sie lernt die "alte sowjetische Schule", wie es Kurator Sergey Harutoonian umschreibt. 1997 folgt mit ihrem Umzug nach Wien ein Bruch: Sie beginnt, zunehmend flächige und oft gegenstandslose Gemälde zu malen, in Österreich ist sie eine der Ersten, die sich in ihren Bildern mit den neuen digitalen Medien auseinandersetzt.

"Moustache" (2012) von Tamuna Sirbiladze.
Nathan Murrell

In den Nullerjahren wendet sie sich Fragen der Weiblichkeit zu – oder dem, was bislang als "unweiblich" gegolten hat. In einer gleichnamigen Arbeit zeigt sie 2005 eine Frau beim Kotzen oder mit gespreizten Beinen auf der Toilette, während sie sich einen Tampon einführt. Zwischen 1998 und 2001, ein Jahr vor ihrer Hochzeit mit Franz West, entsteht die Rauminstallation Moonlight mit Wandbespannungen von Sirbiladze und zwei Stühlen von West, ihre gestischen Pinselstriche reichen über die Leinwände hinaus und tauchen den Raum in ein okkultes, silberfarbenes Licht.

Alte Meister und Handyfotos

Gemeinsam mit ihrem Mann besucht sie Gemäldesammlungen europäischer Museen, sie interessieren sich für die Werke der alten Meister. Mit ihrem Handy macht die Künstlerin Fotos der Originale: Jahre später, nach Franz Wests Tod, kramt sie die wieder hervor und verarbeitet sein Ableben in der V-Collection, einer Serie, in der sie Caravaggio oder Velázquez reinterpretiert. In ihren letzten Lebensjahren kehrt Tamuna Sirbiladze zunehmend zu ihren Wurzeln zurück, in großformatigen Ölstiftzeichnungen auf lose flatternden Leinwänden taucht der Granatapfel als Motiv auf, die Nationalfrucht Georgiens.

Sieht schon klassischer aus: Tamuna Sirbiladzes
Sieht schon klassischer aus: Tamuna Sirbiladzes "Two Jugs" (2014).
Nathan Murrell

Die Präsentation reiht sich gewissermaßen in das jüngste Ausstellungsprogramm des Belvedere ein: Mit Werkschauen von Renate Bertlmann oder zuletzt Broncia Koller-Pinell im Unteren Belvedere zeichnet sich weiterhin die Tendenz ab, weibliche Künstlerinnen vor den Vorhang zu holen. Vielleicht sind die Zeiten der Umschreibung als "Frau von" ja tatsächlich bald vorbei. (Caroline Schluge, 16.4.2024)