Die Arbeiterkammer weilt an einem prominenten Ort. In einem stattlichen Nachkriegsbau an der Prinz-Eugen-Straße, unweit vom Schloss Belvedere gelegen, hat die gesetzliche Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Sitz. In unmittelbarer Nähe besitzt sie noch weitere Gebäude, darunter eine Abendschule. Während die Zentrale von 2006 bis 2008 sorgsam saniert und vergrößert wurde, steht die Abendschule – ebenfalls ein Bau der Nachkriegszeit – jetzt zur Disposition.

Arbeiterkammer in der Plößlgasse 13
Was wird aus dem Gebäude der Arbeiterkammer in der Plößlgasse 13 im vierten Wiener Gemeindebezirk?
Georg Scherer

Haus der Jugend statt Abendschule

In der Plößlgasse stehen junge Menschen vor einem überdachten Eingang mit Glastüren, sie reden, rauchen. Das Gebäude ist offen. Ich gehe hinein. Drinnen sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Vorbereitung auf die Arbeiterkammerwahlen beschäftigt. Obwohl ich jahrelang in unmittelbarer Nähe wohnte, hat es mich nie in das unscheinbare Gebäude verschlagen. Schade eigentlich. Sachlich und schlicht, schöne Materialien, ein paar nette Details – gar nicht übel. Das Stiegenhaus wirkt für jemanden, der die Nachkriegszeit nie erlebt hat, fast schon historisch. All das könnte bald der Vergangenheit angehören. "Wird abgerissen", erklärt mir jemand, der darüber alles andere als erfreut zu sein scheint.

Aus der Technisch-Gewerblichen Abendschule des BFI wird das "Haus der Jugend". Laut der Arbeiterkammer soll das Gebäude "für junge Arbeitnehmer:innen und Jugendliche ein Ort sein, an dem sie sich über die Arbeitswelt und über ihre Rechte informieren können und selbstermächtigt werden". Man wolle jungen Menschen einen Platz und eine Stimme geben. Das Haus der Jugend – ein anderes, neues Haus? Oder eine neue Nutzung für das bestehende Gebäude? Seit Herbst letzten Jahres läuft der Architekturwettbewerb. Doch wovon sollen die teilnehmenden Architekturbüros ausgehen? Das Bestandsgebäude umbauen oder gleich alles neu machen?

Auf Anfrage erklärte die Arbeiterkammer, man könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, was genau mit dem derzeitigen Gebäude passieren werde. Aus der Architekturszene erreichen mich hingegen Mitteilungen, die klar auf einen Abriss hindeuten. In Unterlagen zum Architekturwettbewerb wird der Erhalt des Gebäudes "sehr kritisch gesehen". Zudem sieht die Arbeiterkammer "auch eine Teilerhaltung von Gebäudeteilen kritisch". Das habe technische Gründe. Eine eingehende Untersuchung aller Bauteile soll aber, wie zu hören ist, nicht stattgefunden haben. Eine Untersuchung, die aber nötig wäre, um zu ermitteln, was modernisiert werden müsste und inwieweit eine Sanierung Sinn mache. Eines ist der Auftrag an die teilnehmenden Architekturbüros also jedenfalls nicht: ein Bekenntnis zu Bestand und Weiterbau.

Arbeiterkammer
Das Gebäude wurde etwa Ende der 1950er-Jahre erbaut.
Georg Scherer

Freie Bahn für Abriss

Das Gebäude steht im alleinigen Eigentum der Arbeiterkammer Wien. Unter Denkmalschutz ist es nicht. Auch eine Ortsbild-Schutzzone gilt nicht, obwohl man sich in der Pufferzone des Unesco-Weltkulturerbes befindet. Dass das Areal bis hinauf zum Bildungszentrum der Arbeiterkammer und zum Theater Akzent aus der Schutzzone ausgeklammert ist, kann als Zufall oder Entgegenkommen der Wiener Behörden gewertet werden. Die Flächenwidmung ist noch aus der Zeit der SPÖ-Alleinregierung unter Bürgermeister Michael Häupl. Ohne Schutzzone steht einem Abriss in jedem Fall nichts im Weg.

Stiegenhaus Arbeiterkammer
Das Stiegenhaus dürfte weitgehend im Originalzustand erhalten sein.
Georg Scherer

Ressourcen, die nicht egal sind

Gebäude der Nachkriegszeit sind heute rund 70 Jahre alt. Das typische Gründerzeithaus ist 140 Jahre alt, ein Biedermeierhaus rund 200, viele Gebäude in italienischen Stadtzentren mehr als 400 – und immer noch funktionsfähig. Das Gebäude in der Plößlgasse 13 ist also vergleichsweise jung und hat noch einen Vorteil: Die Raumhöhen sind hoch genug, um eine flexible Nutzung zu gewährleisten.

"Je länger ein Haus hält, desto ökonomischer sind seine Ressourcen eingesetzt. Es verbraucht im Verhältnis zu seiner Nutzung in der Zeit weniger Material", so der Architekt und Architekturtheoretiker Vittorio Magnago Lampugnani. Er plädiert dafür, dass vor jedem Abriss eine Abwägung getroffen werde. "Nur wenn diese ergibt, dass keine Reparatur und kein Umbau sinnvoll sind, und wenn gesichert ist, dass ein Neubau tatsächlich notwendig ist, darf der Bestand geopfert werden."

Laut der Gruppe Architects for Future "verursachen Sanierungen in den meisten Fällen weniger Emissionen als Neubauten". Besonders Gebäude der Nachkriegszeit seien für die Klimawende relevant: "Diese Gebäude mit hohem Energieverbrauch machen circa 40 Prozent des Bestands aus und sind vergleichsweise einfach zu Niedrigstenergiegebäuden zu sanieren."

Schutz von Abrissen ist derzeit nur via Ortsbild- und Denkmalschutz möglich. Für viele greift das zu kurz, wie bei einer Veranstaltung mit Expertinnen und Experten in der IG Architektur deutlich wurde: "Eine Ausweitung der Bewilligungspflicht für alle Gebäude, gestützt auf das öffentliche Interesse des Klimaschutzes, würde eine Hürde für den Abbruch darstellen." Die in Wien ansässige Allianz für Substanz plädiert für eine Kultur der Reparatur und die Minimierung von Neubau, in Deutschland werden Rufe nach einem Abriss-Moratorium laut.

Plößlgasse 13
Plößlgasse 13.
Georg Scherer

Verhalten modern

Ganz abgesehen von den im Gebäude gespeicherten Rohstoffen ist auch die äußere Gestaltung interessant. Das Gebäude fügt sich auf halbem Wege zwischen historischer und zeitgenössischer Architektur ein. Es ist gerade so modern, um sich von Gründerzeit und früheren Perioden abzugrenzen. Zugleich ist es so konservativ, dass es nicht weiter auffällt. Sicher keine weltbewegende und einzigartige Architektur. Eine unbedeutende Banalität aber auch nicht.

Der strenge Fensterraster samt Betonung der Vertikalen ist auch in der Architektur unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg gängig. Oben schließt das Gebäude mit einem Gesims ab, genauso wie in der älteren Architektur. Auch Fassaden mit Platten kannte man früher schon. Charakteristisch für die 1950er-Jahre hingegen sind die oberen zurückversetzten Geschoße und die schlichten Fassadenflächen.

Arbeiterkammer
Plößlgasse 13: zeitlich, räumlich und stilistisch zwischen ferner Vergangenheit und Gegenwart.
Georg Scherer

Staat und Länder als (schlechte) Vorbilder

Auch bei der jüngsten Wiener Bauordnungsnovelle blieben die Bauten der Nachkriegszeit ausgespart. Anders als bei vor 1945 errichteten Gebäuden gibt es für die Architektur der Zweiten Republik nicht einmal eine Prüfung vor Abrissen. Generell ist in Österreich beim Umgang mit dem Gebäudebestand keine klare Linie auszumachen. Das Engagement der Politik ist höchstens punktuell zu spüren. Man scheint es sich mit Investoren und Bauträgern nicht verscherzen zu wollen. Meist haben Baukultur und Abriss-Schutz keine Priorität. Öffentliche Akteure unterscheiden sich dabei kaum von privatwirtschaftlichen Unternehmen. Gebäude werden zumeist als bloße Gegenstände angesehen, die nach Belieben entsorgt werden können. Es geht aber auch anders. Beispielsweise wurde der über lange Zeit wenig geliebte Nachkriegsbau des Wien-Museums beträchtlich erweitert, das Museum erfreut sich nun hoher Beliebtheit.

Das 1959 eröffnete Wien Museum wurde saniert und vergrößert.
Das 1959 eröffnete Wien-Museum wurde saniert und vergrößert.
Certov / Winkler + Ruck Architek

Eigentlich sollte der Staat ein Vorbild sein. Dazu die Allianz für Substanz: "Öffentliche Bauvorhaben müssen Abstand nehmen von Abriss-Neubau. Pilotprojekte im Sanieren, Weiterbauen und Umnutzen sind zu realisieren und der Erhaltung sowie Transformation von Bestand ist bei Planungswettbewerben Vorrang zu geben."

Das Wissen ist längst da, und gerade die Arbeiterkammer ist vorne dabei, was Forderungen nach Sanierungen und Klimaschutzmaßnahmen betrifft. So forderte sie 2019 ein Klimainvestitionspaket mit jährlich 300 Millionen Euro für die thermische Sanierung privater und öffentlicher Gebäude. Bei einer Tagung der Arbeiterkammer zum Thema geplante Obsoleszenz wurde auf die Bedeutung der Reparatur von Produkten hingewiesen. Wenn schon gewöhnliche Gegenstände möglichst lange halten sollten, dann Gebäude erst recht.

Plößlgasse 13: Das Stiegenhaus wird durch natürliches Licht erhellt.
Plößlgasse 13: Das Stiegenhaus wird durch natürliches Licht erhellt.
Georg Scherer

Kein Denkmalschutz – einfacherer Umbau

Gilt kein Denkmalschutz, ist das Schicksal eines Bauwerks im Zweifelsfall schnell besiegelt. Doch anders herum kann das auch zur Chance werden: Ohne Denkmalschutz lässt sich das Bestandsgebäude stärker verändern, der Umbau wird kostengünstiger. Vielleicht lässt sich das Dach begrünen und öffentlich zugänglich machen, vielleicht die Fassade in freundliche Farben tauchen?

Die Arbeiterkammer könnte den Architekturbüros, die jetzt gerade mit ihren Entwürfen beschäftigt sind, ein klares Signal senden: Erhalt und Umbau ausdrücklich erwünscht! Das käme ihren ureigensten Interessen zugute, das Handwerk zu fördern, denn Sanierungen brauchen Fachkräfte. Als gesetzliche Vertretung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat die Arbeiterkammer natürlich eine besondere Verantwortung. Sie sollte auch sorgsam mit ihren Gebäuden umgehen. Die Verschwendung von Ressourcen und die Zerstörung intakter Bauwerke können nicht das Ziel sein. (Georg Scherer, 25.4.2024)