Österreichs oberster Staatsschützer, Omar Haijawi-Pirchner.
Der Chef des österreichischen Staatsschutzes, Omar Haijawi-Pirchner, fordert für seine Ermittler Befugnisse. Er dürfte sie aber nicht so bald bekommen.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Seit gut einem Jahr versucht Österreichs oberster Staatsschützer die Öffentlichkeit auf ein wichtiges, aber auch sehr komplexes Thema aufmerksam zu machen. So richtig gehört wird Omar Haijawi-Pirchner aber noch nicht.

Kurz gesagt will der Chef der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), dass seine Ermittler anonyme Chats von Terroristen auf Whatsapp, Signal und Co überwachen können, um Anschlagspläne früh genug zu erkennen und sie – im besten Fall – zu zerschlagen.

Das klingt nachvollziehbar und erscheint dringlich. Die Gefahr eines Terroranschlags in Österreich ist so groß wie selten. Gegen Haijawi-Pirchners Vorschlag formiert sich in Österreich derzeit aber vor allem eines: Misstrauen.

Wenn das in die falschen Hände gerät

An sich sind die Bedenken gegen mehr Überwachung nachvollziehbar. Es gibt die Angst, dass aus einem Zugriff auf anonyme Chats irgendwann mehr werden könnte, am Ende auch der unbescholtene Bürger überwacht wird – vor allem, wenn dieses mächtige Werkzeug in die falschen Hände gerät.

Die Affäre um den österreichischen Ex-Agenten Egisto Ott verstärkt dieses Unbehagen. Immerhin sitzt er nicht nur wegen mutmaßlicher Russlandspionage in U-Haft, Ott soll auch geheime Informationen aus dem Staatsschutz an seine Günstlinge verkauft haben. Wieso sollte man gerade jetzt dem Staatsschutz mehr Kompetenzen geben?

Und wie soll das alles überhaupt funktionieren? Braucht man dafür nicht eine zwielichtige Software, die dann erst recht alle Daten auf einem Smartphone absaugt und nicht nur die, auf die Ermittler angeblich spitzen?

Nicht zuletzt kommt der Vorschlag von der ÖVP. Das reicht für viele schon aus, um ihn abzulehnen. Aber sind das alles taugliche Argumente, um das Thema einfach abzuhaken? Natürlich nicht.

Kein Allheilmittel, aber ein Ansatz

Was wäre, wenn der Vorschlag einen rigiden Rechtsschutz verspräche? Wenn der Zugriff auf anonyme Chats im Gesetz explizit etwa nur auf Terroristen und Spione beschränkt wäre? Was wäre, wenn diese Überwachung von einem Gericht freigegeben werden müsste, zeitlich begrenzt wäre, etwa auf wenige Tage, und ständig kontrolliert würde, ob die Maßnahme noch sinnvoll ist? Wenn nicht, wird sie abgedreht.

Technisch würde sich der Staatsschutz tatsächlich Sicherheitslücken bedienen müssen, um zunächst einen Vollzugriff auf das Smartphone eines Verdächtigen zu bekommen. Ja, das klingt schaurig, geht aber nicht anders. Es gibt allerdings Softwarelösungen, die im zweiten Schritt ein Mitlesen in Echtzeit auf einzelne Apps beschränken können.

So klingt das alles schon weniger drastisch, geht aber unter. Die Politik weicht dieser heiklen Debatte seit Monaten aus. Das ist gefährlich.

Warum? Weil sich Terroristen nun einmal über anonyme Chats absprechen. Aber nicht nur die: Das trifft ebenso auf russische Spione oder Drogenschieber aus der organisierten Kriminalität zu. Observationen und Abhöraktionen sind da kaum wirksam. Ermittler können ihre Ziele zwar beobachten, wissen aber nicht, was sie im Schilde führen.

Das stärkste Mittel der Exekutive bleibt im Zweifel die Razzia. Die Verdächtigen operieren heute aber in der Regel mit selbstlöschenden Nachrichten. Sichergestellt werden kann oft nur ein Smartphone ohne Beweise. An die könnten Ermittler mit einer Überwachung von Chats eher gelangen – sofern sie die Zielperson schon länger am Schirm haben.

Selbiges gilt für Tipps anderer Dienste über Gefährder in Österreich. Diese Informationen müssen derzeit über Ansuchen aus dem Ausland mühsam geordert werden, weil der Tipp aus Quellenschutz vor Gericht nicht verwendbar ist – das kann Monate dauern und der Verdächtige derweil aus der U-Haft freikommen. Wie umständlich!

Ein solcher Tipp aus dem Ausland allein birgt auch das Problem einer Überreaktion. Österreichs Staatsschützer müssen heute bei der Frage, ob bereits Gefahr im Verzug ist oder nicht, viel zu oft auf ihr Bauchgefühl hoffen.

Vor diesen Problemen steht die Exekutive. Die Überwachung von Terror-Chats ist mit Sicherheit kein Allheilmittel, aber ein Ansatz. Und ja, es ist ein mächtiges Werkzeug, das – in den falschen Händen – korrumpiert werden kann. Aber reicht diese Gefahr als Argument dafür aus, Bürgerinnen und Bürgern nicht den Schutz zu bieten, den sie verdienen? Niemals. (Jan Michael Marchart, 26.4.2024)