Im Befund von Amnesty International bezüglich der Sozialhilfe geht es auch um geflüchtete Menschen. Subsidiär schutzberechtigte Personen und ukrainische Kriegsflüchtlinge hätten gar keinen Zugang zum untersten sozialen Absicherungsnetz. Das treibe so manchen von ihnen in Prekarität und Armut, moniert die Menschenrechtsorganisation in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht.

Aber nicht nur damit verstoße Österreich bei der Sozialhilfe gegen seine menschenrechtlichen Verpflichtungen. Das Unterstützungssystem, wie es sich heute präsentiere, sei ein "löchriges soziales Auffangnetz", das Armut verfestige, statt Menschen vor ihr zu bewahren. Auch gebe es eine Reihe Hindernisse beim Zugang zur Sozialhilfe, etwa für behinderte Personen.

Hände halten Brieftasche mit Euroscheinen
Dass auch anerkannte Flüchtlinge Sozialhilfe beziehen, regt in Österreich schon zum wiederholten Mal auf.
Foto: Imago/ K. Schmitt

Der Bericht und die in ihm enthaltene Kritik kommen zu einem Zeitpunkt, da in Österreich eine neuerliche Flüchtlingsdiskussion ausgebrochen ist: Derzeit kommen durch Familiennachzug verstärkt Frauen und Kinder anerkannter Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan sowie Somalia ins Land, ein großer Teil davon nach Wien. Das stellt in der Bundeshauptstadt zum Beispiel das Schulwesen vor große Herausforderungen.

Aktuelle Verschärfungspläne

An den Belastungen durch die Familienzusammenführung trage man in der Bundeshauptstadt selber die Schuld, heißt es dazu aus der ÖVP. Die Schutzberechtigten würden wegen der im Bundeslandvergleich höheren Sozialhilfezahlungen nach Wien ziehen. Gleichzeitig werden Verschärfungspläne laut, etwa eine Wohnsitzauflage für Sozialhilfebeziehende: Die Leistung soll nur in dem Bundesland ausgezahlt werden, in dem die antragstellende Flüchtlingsfamilie lebt.

Eine solche Regelung sei unrealistisch, sagt dazu der Europarechtsexperte Walter Obwexer. Anerkannte Flüchtlinge sowie subsidiär schutzberechtigte Personen müssten bei der Gewährung von Sozialhilfe wie Inländer behandelt werden. Sprich, eine etwaige Wohnsitzauflage müsste dann auch für Österreicherinnen und Österreicher gelten, die Sozialhilfe beziehen. Auch für sie würde eine Übersiedlung in ein anderes Bundesland erschwert werden.

Dass Sozialhilfe für anerkannte Flüchtlinge infrage gestellt wird und die angedachten Maßnahmen nicht nur für sie, sondern für alle Bezieherinnen und Bezieher gelten würden, geschieht nicht zum ersten Mal. Tatsächlich ging auch dem Beschluss des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes 2019 unter Türkis-Blau, mit dem die vorher geltende bedarfsorientierte Mindestsicherung zusammengestutzt wurde, eine Diskussion über dieses emotionalisierende Thema voraus.

Konflikt in der großen Koalition

Schon vor der Einigung der ÖVP und FPÖ auf eine Koalition unter Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte der diesbezügliche Konflikt jahrelang geschwelt. Die ÖVP hatte die bedarfsorientierte Mindestsicherung 2010 zusammen mit der SPÖ beschlossen. Nun wies sie den Regierungspartner ab 2015 zunehmend laut darauf hin, dass viele anerkannte Flüchtlinge Mindestsicherung bezogen – ein Umstand, der sich bis heute nicht geändert hat.

Wie heute stieß das Thema auch damals auf breites Interesse. Eine Neiddebatte entstand. Nieder- und Oberösterreich scherten als Erste dem Mindestsicherungsmodell aus. Sie beschlossen unter anderem eine Kürzung der Leistung für anerkannte Flüchtlinge. Die Regelung wurde später vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.

Was hingegen 2019 kam und bis heute blieb, sind Kürzungen, die sämtliche Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher betreffen. Die ursprüngliche Mindestsicherung hatte Mindestsätze vorgesehen, die bei Bedarf – also in persönlichen oder allgemeinen Krisensituationen – mit Zusatzgeldern ergänzt werden konnten. Nun wurden Höchstsätze eingeführt, in die sämtliche Zusatzleistungen, etwa fürs Wohnen, eingerechnet werden.

Kein ausreichender Schutz vor Armut mehr

Behinderten Menschen, die mit engen Verwandten zusammenleben, wurde der Zugang zu einer eigenen Sozialhilfe erschwert. Sie müssen nun erst Unterhalt von den Angehörigen verlangen und diese deswegen sogar klagen. Aufgrund der Verschärfungen, so Martin Schenk, Armutsexperte der Diakonie, könne die heutige Sozialhilfe ihre ursprüngliche Aufgabe, den Schutz vor Armut, nicht mehr erfüllen. Die Diskussion um das Geld für anerkannte Flüchtlinge sei ein Auslöser gewesen, mit dem sich die Lage aller Armutsbetroffenen in Österreich verschlechtert habe. (Irene Brickner, 25.4.2024)