Polizeibeamte bei ihrem Terroreinsatz am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt.
Aus Sicht von Staatsschützern hätte eine Chat-Überwachung auch den Vorteil, besser abschätzen zu können, wann die Exekutive den Zugriff auf Terrorverdächtige startet.
AFP/ Joe Klamar

Sollen die Chats von Terrorverdächtigen künftig in Echtzeit ausgespäht werden können? Das ist eine heikle Frage, die hierzulande vor allem Omar Haijawi-Pirchner regelmäßig mit "Ja" beantwortet. Österreichs oberster Staatsschützer will seiner Behörde seit gut einem Jahr mehr Befugnisse verschaffen. In dieser Legislaturperiode wird sich das aber nicht mehr ausgehen, weil ÖVP und Grüne innerhalb der Koalition zu keiner gemeinsamen Linie finden.

Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass selbst in der Spitzenpolitik oft unklar ist, worüber eigentlich gesprochen wird. Es beginnt bei der Begrifflichkeit: In Bezug auf die Überwachung von Terror-Chats ist schnell vom Bundestrojaner die Rede, als wäre der ein Synonym dafür. Auch wie die Überwachung technisch umgesetzt werden soll, verursacht bei Nicht-Verfassungs- oder -Datenschützern vor allem eines: viele Fragezeichen.

Frage: Noch einmal von vorne: Was ist überhaupt ein Bundestrojaner?
Antwort: Damit ist gemeint, dass ein Smartphone mit einer speziellen Spionagesoftware komplett ausgelesen werden kann. In der gravierendsten Form wäre es Ermittlern so nicht nur möglich, anonyme Chats auf Whatsapp, Signal und Co in Echtzeit mitzuverfolgen, sondern auch die Fotogalerie auf dem Handy zu öffnen oder die Kamera zu aktivieren. So könnte ausgekundschaftet werden, wo sich eine verdächtige Person gerade aufhält. Eine Art des Bundestrojaners – der sich auf lediglich auf verschlüsselte Nachrichten bezogen hätte – wurde hierzulande erst im Jahr 2019 vom Verfassungsgerichtshof gekippt, weil er aus Sicht des Höchstgerichts auch im Sinne der Privatsphäre zu weit gefasst war. Zu einer Umsetzung kam es nie. Die Einführung des Trojaners wäre für April 2020 vorgesehen gewesen. Das will Österreichs Staatsschutz in dieser Form jedenfalls nicht mehr.

Frage: Was dann?
Antwort: Angedacht wird, dass Ermittler künftig ausschließlich verschlüsselte Chats in Echtzeit mitlesen können. Angeblich kursiert dazu bereits ein Gesetzesvorschlag innerhalb der türkis-grünen Koalition im Bund. Laut diesem soll die Chat-Überwachung, so ist zu hören, ausschließlich für Terroristen und Spione gelten.

Frage: Wie soll das technisch funktionieren?
Antwort: Dafür muss eine spezielle Software angeschafft werden. Dem Vernehmen nach will der Staatsschutz bestehende Sicherheitslücken bei Smartphones ausnutzen, um zunächst einen Vollzugriff auf das Gerät zu bekommen. Anders sei das nicht machbar, heißt es. In weiterer Folge lasse sich der Zugriff aber so einstellen, dass die Überwachung nur einzelne Apps umfasst. Es ist also auch ein Trojaner – so wird es erklärt – in limitierterer Form.

Frage: Und wer kontrolliert das alles?
Antwort: Den Sanctus für die Chat-Überwachung müsste sich der Staatsschutz beim Bundesverwaltungsgericht holen. Wenn Gefahr im Verzug ist, müsste das innerhalb weniger Stunden passieren. Die Kontrolle über die Effizienz der Maßnahme selbst käme dem Rechtsschutzbeauftragten im Innenministerium zu – der schon jetzt über den Staatsschutz wacht. Im Nachhinein könnte außerdem die Kontrollkommission der Behörde unter die Lupe nehmen, ob die Ressourcen für die Überwachung wirklich notwendig waren.

Frage: Zuletzt hieß es, dass nur Metadaten überwacht werden sollen? Was ist das nun wieder?
Antwort: Für sich alleine macht das keinen Sinn. Die Metadaten zeigen nämlich nur, wer mit wem über welchen Kanal – etwa Whatsapp – kommuniziert. Die Inhalte der Chats wären ausgeklammert. Staatsschützer sehen in der Überwachung von Metadaten also lediglich eine strategische Basis dafür, wie das Smartphone eines Verdächtigen am besten angegriffen werden könnte, weil klar wird, über welche App möglicherweise Terrorpläne geschmiedet werden. Sinnvoll wäre also nur eine Kombination aus beidem, wenn sowohl Metadaten als auch Chats überwacht werden.

Frage: Aus welchem Anlass diskutieren wir darüber?
Antwort: Österreichs oberster Staatsschützer Omar Haijawi-Pirchner sieht seine Behörde im Kampf gegen Terroristen und Spione im Nachteil. Die besprechen ihre Pläne nämlich unter anderem in verschlüsselten Chats. Der Staatsschutz bekommt davon aktuell nichts mit. Das heißt, Ermittler können Verdächtige zwar beobachten. Was sie planen und vor allem wann, bleibt für sie aber oft im Dunkeln.

Mehr Befugnisse will übrigens nicht nur Haijawi-Pirchner. Dem Vernehmen nach liebäugelt auch das heimische Bundeskriminalamt mit einer Chat-Überwachung – in Bezug auf Milieus der organisierten Kriminalität wie Drogenbanden. Selbiges trifft auf das Heeres-Nachrichtenamt zu, dem Auslandsnachrichtendienst der Republik. Dort würde man mit der Überwachung anonymer Chats gerne Bedrohungen im Ausland besser einschätzen können.

Frage: Welche Möglichkeiten haben Staatsschützer heute schon?
Antwort: Da gibt es einige Optionen, sie reichen von Observationen bis zu Lauschangriffen. Aus Sicht von Haijawi-Pirchner reicht das im Zeitalter verschlüsselter Kommunikation aber längst nicht mehr aus.

Frage: Wie ist das in anderen Ländern geregelt?
Antwort: Das schärfste Beispiel sind mit Sicherheit die USA. Der dortige Auslandsgeheimdienst NSA durchforstet nicht nur die Datenkommunikation im eigenen Land, sondern international. Ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es eine Massenüberwachung. Andererseits übermittelt die US-Behörde oft wichtige Hinweise über Terroristen – etwa an Österreich.

So weit will Haijawi-Pirchner nicht gehen. Aber er betont regelmäßig, dass Österreich in Europa zu den Schlusslichtern bei der Kommunikationsüberwachung zählt. Das dürfte stimmen. Was die Regeln angeht, ist Europa ein ziemlicher Fleckerlteppich. In Ungarn etwa ist Überwachung kaum abgesichert möglich, sobald es um die "nationale Sicherheit" geht, wie Futurezone berichtete. In Frankreich ist die Telekomüberwachung in Ausnahmesituationen erlaubt, in Italien dürfen Behörden grundsätzlich Hacking-Techniken einsetzen. Österreich orientiert sich an Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, die der Überwachung grund- und datenschutzrechtliche Schranken gesetzt haben.

Frage: Wenn Terror-Chats in Zukunft überwacht werden, heißt das dann, dass künftig Anschläge in jedem Fall verhindert werden können?
Antwort: Nein. Das würde auch kein Staatsschützer ernsthaft behaupten. Es wäre nur eine weitere Möglichkeit, Terroristen eher auf die Schliche zu kommen. Aber auch diese Maßnahme hat ihre Grenzen. Deutlich wird das im Fall des Jihadisten Ali K. (17). Der wollte im September 2023 am Wiener Hauptbahnhof so viele Menschen wie möglich mit einem Messer umbringen – brach den Anschlag aber ab. Auf K. wurden die heimischen Sicherheitsbehörden durch einen Tipp aus dem Ausland aufmerksam. Allerdings kam der erst, als sich K. schon auf den Weg gemacht hatte.

Die Überwachung von anonymen Chats wäre dem Vernehmen nach außerdem nur auf Whatsapp, Signal und Telegram beschränkt. Jihadisten besprechen ihre Pläne aber auch woanders: neuerdings etwa im Chat des bekannten Handyspiels Clash of Clans.

Frage: Okay, aber wann macht eine Chat-Überwachung dann Sinn?
Antwort: Vermutlich wäre sie rund um Silvester nützlich gewesen. Damals wurde eine Zelle von mutmaßlichen Jihadisten festgenommen, die angeblich einen Anschlag auf den Wiener Stephansdom geplant hatten. Der Staatsschutz hatte Hinweise, dass die Verdächtigen wohl zu Silvester zuschlagen würden. Die Behörden gingen wegen eines Tipps auf Nummer sicher, starteten den Zugriff schon vor Weihnachten. Wäre ein Mitlesen von Chats möglich gewesen, sagen Staatsschützer im Hintergrund, hätte man mit der Razzia vermutlich nicht nur länger zuwarten, sondern der Justiz auch handfeste Beweise in Form von Chats vorlegen können. Das war in dieser Causa nicht der Fall.

Frage: Inwiefern beeinflusst mich das als Bürgerin und als Bürger? Wird mein Handy auch überwacht?
Antwort: Unbescholtene sollten nicht ins Visier der Ermittler geraten. Ein potenzielles Gesetz soll dezidiert auf Terroristen und Spione zugeschnitten werden. Die Überwachung von Terror-Chats soll Bürgerinnen und Bürgern vor allem eines bringen: mehr Sicherheit.

Frage: Was passiert eigentlich mit Zufallsfunden? Etwa, wenn der Verdächtige kein Terrorist ist, aber sich bei der Überwachung herausstellt, dass er im Drogenmilieu aktiv ist?
Antwort: Dem Vernehmen nach würde da eine Grenze eingezogen werden: Zufallsfunde, die eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren nach sich ziehen, müssten vollständig gelöscht werden. Jede Strafandrohung darüber hinaus würde von den ermittelnden Behörden verfolgt werden.

Frage: Und wie realistisch ist es, dass Terror-Chats bald von Ermittlern überwacht werden können?
Antwort: Die Chancen gehen gegen null. Innerhalb der türkis-grünen Koalition spielt das Thema keine große Rolle. Die ÖVP fordert die Überwachung von Terror-Chats zwar immer wieder, aber ohne besonderen Nachdruck. Die Grünen halten mehrheitlich nichts davon. Nur Justizministerin Alma Zadić zeigte sich kürzlich überraschend offen: Geht es nach ihr, müsse über das Thema zumindest geredet werden. Die rote Linie sei für die Grünen der Bundestrojaner. Aber um den geht es ja nicht. (Jan Michael Marchart, 25.4.2024)