Wien – So wichtig der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen für die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und die grüne Wende sein mag, die Stromversorger bringt er in seiner derzeitigen Ausprägung bisweilen an ihre Grenzen. Das liegt vor allem an der Photovoltaik (PV), die zu den besonderen Schwerpunkten des Klima- und Energieministeriums gehört. Der staatlich massiv geförderte PV- und Windenergie-Erzeugungsausbau in den vergangenen Jahren ist nur mit zusätzlichem Aufwand in die Leitungsnetze zu bewältigen.

Alte und neue Strommasten in Hessen in Deutschland vor einem bewölkten Himmel mit tiefstehender Sonne.
Überall in Europa müssen Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetze ertüchtigt werden, um die Übertragungsleistung zu steigern und die Energiewende schaffen.
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Aus Sicht der E-Wirtschaft zu wenig berücksichtigt ist im Österreichischen Netzinfrastrukturplan (Önip) der dazugehörige Ausbau der Netze und Speicher. Ohne diese werde es aber nicht gehen, denn in der Realität schwankt die Einspeisung von mit PV erzeugtem Strom gewaltig. Im Sommer gibt es zu viel (weil die Sonne scheint), im Winter zu wenig – obwohl da der Energiebedarf höher ist und aus thermischer Leistung gestillt werden muss. Nun könnte man massiv in Speicher investieren, was enorme Kosten verursachte und volkswirtschaftlich fragwürdig wäre. "Sinnvoller wäre eine Verlagerung des Erneuerbaren-Ausbaus hin zur Windenergie", sagt die Generalsekretärin von Österreichs Energie, der Interessenvertretung der heimischen E-Wirtschaft.

Das Problem dahinter: Da die Sonne in der Nacht für gewöhnlich nicht scheine, brauche man bei PV die dreifache Leistung und die dreifachen Netzkapazitäten, um die gleiche Menge Strom zu generieren, erklärt der Sprecher des Bereichs Netz bei Österreichs Energie, Franz Strempfl. Zusätzliche Umspannwerke, Trafos, Netzverstärkung, Digitalisierung und Datenaustausch seien deshalb notwendig.

Kosten für Verteilnetze

Bleibt der Önip unverändert, ist mit deutlichen Kostensteigerungen im Bereich der Verteilnetze zu rechnen. Die festgeschriebenen Ziele in der Erneuerbaren-Energieerzeugung bis 2030 und 2040 seien erreichbar, sagt Helfried Brunner vom Center for Energy am Forschungszentrum Austrian Institute of Technology (AIT). Allerdings müssen allein bis 2030 rund 24 Milliarden Euro in die Verteilnetze investiert werden. Bis 2040 wären es gar rund 44 Milliarden Euro. Einen Gutteil davon müssten die Endkunden über Umlagen aufbringen, was angesichts der hohen Energiepreise politisch schwer vorstellbar ist.

In diesen gewaltigen Summen enthalten sind freilich auch die Ersatzinvestitionen, also Kosten, die für Instandhaltung und Erneuerung jedenfalls fällig sind. Diese Ersatzinvestitionen beziffert das AIT in seiner Hochrechnung, die auf Basis von zwölf repräsentativen Mittelspannungsnetzen und 25 Niederspannungsnetzen durchgeführt wurde, mit 9,9 Milliarden Euro bis 2030 und auf 19,7 Milliarden Euro bis 2040.

Der große Rest der nun errechneten Szenarien an Zusatzkosten bis 2030 setzt sich folgendermaßen zusammen: 6,5 Milliarden Euro an Zusatzinvestitionen entstehen in Niederspannungsnetzen für PV, Elektromobilität und Wärmepumpen, 5,5 Milliarden Euro in Mittelspannungsnetzen für PV, Elektromobilität und Wärmepumpen, und 2,3 Milliarden braucht es für die zusätzliche Ertüchtigung der Hochspannungsnetze für Windenergie.

Milliardeninvestitionen

Bis 2040 beläuft sich der Bedarf an Zusatzinvestitionen laut AIT-Szenario in der Hochspannung gar auf 3,7 Milliarden Euro (Wind), in der Mittelspannung auf knapp zwölf Milliarden Euro und in der Niederspannung auf 9,2 Milliarden Euro. Das ergibt zusammen mit den Ersatzinvestitionen (19,7 Milliarden Euro) die oben genannten 44,4 Milliarden Euro. Angesichts dieser Summen sei eine Verlagerung des Erneuerbaren-Ausbaus hin zu mehr Windparks auch ökonomisch die vernünftigere Variante, waren die in einer Pressekonferenz versammelten Experten einig. Der Bedarf an Strom für den elektrifizierten Schwerverkehr ist in den Modellierungen des AIT übrigens ebenso wenig enthalten wie die Dekarbonisierung von Industrie und Gewerbe. Auch die E-Ladeinfrastruktur, die vor Supermärkten und an öffentlichen Stellen errichtet wird, blieb unberücksichtigt. Hochgerechnet wurde auf Basis der seit der Energie- und Rohstoffkrise um rund 35 Prozent höheren Kosten für Komponenten.

Mehr Strom für Wasserstoff?

Beim zukünftigen Strombedarf entspricht die Einschätzung der E-Wirtschaft weitgehend jener des Netzinfrastrukturplans des Ministeriums. "Wir sehen nur mehr Strom auch in der Wasserstoffproduktion im Jahr 2040", sagte Schmidt. Sinnvoll wäre nach Vorstellung der E-Wirtschaft, Überschüsse in der Stromproduktion im Sommer in Wasserstoff umzuwandeln und so zu speichern. Auch das geht nicht konform mit dem Szenario im Önip, dem gemäß Überschüsse eher ins Ausland verkauft würden. Den Strombedarf der Industrie im Jahr 2040 schätzt Österreichs Energie tendenziell höher ein als die Experten des Önip.

Der Netzausbau "wird Zeit brauchen, es wird Geld kosten, und es wird sich irgendwann im Tarif niederschlagen", sagte Netz-Experte Strempfl. Es gehe um immense Summen, gleichzeitig werde aber auch die Menge des Stroms im System steigen, weil Verkehr, Wärme und Industrieprozesse elektrifiziert werden. "Wenn ich mehr Menge im System habe, ist das wieder gut für den Tarif", sagt Strempfl.

Wiewohl sich die E-Wirtschaft Verbesserungen im Netzplan Önip wünscht, grundsätzlich sei dieser ein wichtiger erster Schritt für den Umbau des Energiesystems. "Es ist gut, dass man jetzt koordiniert vorgeht. Das ist der Beginn, der Startschuss des ganzen Prozesses, wir müssen jetzt dranbleiben, weiterdiskutieren", betonte Generalsekretärin Schmidt. Positiv sei, dass der Wasserkraft nun eine zentralere Bedeutung beigemessen werde und auch thermische Kraftwerke berücksichtigt würden. Der bisherige Erneuerbaren-Ausbau sei gut bewältigt worden. Seit 2005 stieg die Erneuerbaren-Erzeugung von 43,6 auf 54,4 Terawattstunden im Jahr 2022. 2023 waren allein aufgrund von Photovoltaik 1800 Megawatt mehr am Netz, es wurden 125.000 neue Zählpunkte in Betrieb genommen und in die Netze integriert. (Luise Ungerboeck, 24.4.2024)