Es ist nicht so, dass die Regierung nicht etwas getan hätte. 2023 wurde die kalte Progression, also die schleichende Steuererhöhung für Beschäftigte, nach einer jahrzehntelangen Diskussion von Türkis-Grün abgeschafft. Parallel dazu wurde die Belastung der Unternehmen mit Lohnabgaben gesenkt. Die Beiträge für den Familienlastenausgleichsfonds wurden minimal reduziert, ebenso der Beitrag zur Unfallversicherung. Und jetzt das: Am Donnerstag hat die Industriestaatenorganisation OECD ihren traditionellen Bericht zur Belastung des Faktors Arbeit in ihren 38 Mitgliedsländern vorgelegt. Dabei zeigt sich: Nicht nur ist Österreich weiterhin ein Land, in dem Arbeit stark belastet ist, nur in zwei Ländern, Belgien und Deutschland, sind Abgaben und Steuern noch höher. Die Belastung ist sogar nochmal gestiegen im Vergleich zu 2022.

Die OECD analysiert im Rahmen der neuen Publikation den sogenannten Steuerkeil: Wenn ein Arbeitgeber Kosten für Arbeit von einem Euro hat, wie viel davon kann ein Beschäftigter tatsächlich mit nach Hause nehmen, und wie viel davon geht an den Staat? In Österreich war ein Euro, den ein alleinstehender Arbeitnehmer ohne Kinder verdient, im vergangenen Jahr im Schnitt mit 47,2 Cent belastet. Das ist der Steuerkeil in der Definition der OECD. Der Betrag setzt sich zusammen aus diversen Lohnnebenkosten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Lohnsteuern. 2022 hatte die Belastung "nur" bei 46,8 Cent gelegen. Diese Rechnung gilt für jemanden, dessen Einkommen dem landesweiten Durchschnitt entspricht.

Ende der Einmalzahlungen wirkt sich aus

Bei Familien, zwei Einkommensbeziehern mit Kindern, ist der Steuerkeil zwar niedriger. Von einem Euro, den Arbeit einen Unternehmer kostet, gehen hier 37,5 Cent an den Staat. Dafür war hier der Anstieg der Belastung ausgeprägter. 2022 hatte der Steuerkeil nur etwas über 36 Cent betragen. Und: Nur in Luxemburg, Slowenien, Polen und Lettland gab es einen noch höheren Anstieg der Abgabenlast für Familien.

Aber wie ist möglich, dass Steuern und Abgaben trotz der Entlastungen insgesamt steigen, wenn auch nur sehr moderat? Des Rätsels Lösung sind die im Jahr 2022 gewährten Entlastungen in Form staatlicher Einmalzahlungen wegen der Teuerung. Das waren etwa die vorübergehend erhöhte Familienbeihilfe oder der erhöhte Klima- und Antiteuerungsbonus. Dieser hatte für einen Erwachsenen 500 Euro und für Kinder 250 Euro betragen. Die OECD erfasst diese Zahlungen als Steuererleichterungen in Form einer Cash-Zahlung. Die Einmalzahlungen führten dazu, dass die Abgabenlast 2022 gesunken ist. Da es 2023 diese Goodies nicht mehr gab, steigt die Belastung nun wieder.

Hohe Einmalzahlungen haben die Belastung von Familien gesenkt – nun steigt die Abgabenlast wieder an.
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"Die Abschaffung der kalten Progression und die übrigen Maßnahmen haben lediglich verhindert, dass die Abgabenlast nicht stärker steigt", sagt die Wifo-Ökonomin Margit Schratzenstaller. Die Entwicklung zeige, dass weiter Handlungsbedarf bestehe. Im Vergleich zu den übrigen Industrieländern sei Arbeit bei einem Single ohne Kinder in Österreich um zehn Prozentpunkte höher belastet. Hier spielt freilich auch mit hinein, dass viele Industrieländer ein anderes Sozialsystem mit weniger öffentlich finanzierten Leistungen haben. Aber auch im Vergleich zum EU-Schnitt ist Arbeit in Österreich teuer, auch wenn die Differenz nicht mehr so ausgeprägt ist.

Österreich hat hohen Abgabenkeil im OECD-Schnitt
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Die Zahlen zeigen auch, dass keine Regierungspartei der vergangenen Jahre in der Lage war, an der Arbeitsbelastung für kinderlose Personen etwas zu verändern. Der Steuerkeil ist seit über 20 Jahren relativ konstant in Österreich. Das ist wiederum bei Familien in der langfristigen Perspektive anders, hier sind die Abgaben und Steuern etwas gesunken. Verantwortlich sind dafür unter anderem eingeführte steuerliche Erleichterungen, etwa der Familienbonus.

Auch in den übrigen Industrieländern knabberte der Staat im vergangenen Jahr etwas mehr bei Einkommen mit, in 21 von 38 OECD-Staaten stiegen Steuer- und Abgabenquoten an. Verantwortlich war in den meisten Ländern die Inflation. Weil in den meisten Staaten die kalte Progression nicht abgeschafft ist, stieg im Zuge der Teuerung auch die Einkommensteuer an. Diese verläuft ja progressiv, ist also umso höher, je mehr jemand verdient.

"Verpuffte Entlastung"

Deutlich kritische Worte kommen angesichts der Entwicklung in Österreich von den Neos: "Dass die Steuer- und Abgabenlast für die Mitte gestiegen ist, liegt am Versagen der Regierung. Statt struktureller Entlastung gab es Einmalzahlungen, die wieder verpufften", sagt Lukas Sustala, Leiter des Neos-Lab, des Thinktanks der Oppositionspartei. Die Neos verlangen seit längerem eine deutliche Absenkung der Lohnnebenkosten. Auch die ÖVP hat diese Forderung wieder in ihr Wahlkampfprogramm aufgenommen.

Österreich hat hohen Abgabenkeil im OECD-Schnitt
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Etwas zu tun empfiehlt auch Ökonomin Schratzenstaller, sie würde die Sozialversicherungsbeiträge senken, etwa für die Krankenkassen. Freilich: Wer hier eingreift, hebelt die weitgehend autonome Finanzierung des Gesundheitswesens durch Beiträge zur Sozialversicherung zum Teil aus. Dann muss der Staat eingreifen und die Lücke bei den Gesundheitskassen schließen. (András Szigetvari, 25.4.2024)