Humza Yousaf
Regierungschef Humza Yousaf von der Scottish National Party.
AFP/ANDY BUCHANAN

Schlägt der Vorherrschaft der Nationalpartei SNP in Schottland die Stunde? Nach dem Scheitern seines Regierungspaktes mit den Grünen am Donnerstag muss sich der Edinburgher Ministerpräsident Humza Yousaf kommende Woche einem Misstrauensvotum stellen. Dabei kommt einer einstigen Rivalin um den Parteivorsitz eine Schlüsselrolle zu. "Ash Regan ist jetzt die mächtigste Abgeordnete im schottischen Parlament", freut sich Alex Salmond, der frühere SNP-Boss und jetzige Vorsitzende der winzigen Alba-Party, zu der die 50-Jährige vergangenen Herbst übergelaufen ist.

Der seit gut einem Jahr amtierende Yousaf hatte von seiner Vorgängerin Nicola Sturgeon ein Abkommen mit den Grünen geerbt. Statt wie in früheren Wahlperioden auf informeller Basis unterstützte die viel kleinere Fraktion seit der jüngsten Wahl 2021 die zuvor übermächtigen Nationalisten, die knapp an der absoluten Mehrheit der Mandate vorbeischliddert waren, auch ganz offiziell. Die beiden Parteisprecher Lorna Slater und Patrick Harvie erhielten im Gegenzug Staatssekretärsposten, kümmerten sich um Mieterschutz sowie um den Klima-verträglichen Umbau der Volkswirtschaft.

Gespaltene Partei

Die Zusammenarbeit beruhte zu einem Gutteil auf der Persönlichkeit der jahrelang die schottische Politik dominierenden Ministerpräsidentin Sturgeon. Nach deren Rücktritt wegen einer Affäre um die SNP-Parteifinanzen traten im Nachfolgestreit die innerparteilichen Unterschiede klar zu Tage. Von seiner schärfsten Rivalin Kate Forbes musste sich Yousaf Mittelmäßigkeit und mangelnde Kompetenz vorwerfen lassen; Regan punktete mit ihrer klaren Opposition gegen die gescheiterte Transgender-Politik der SNP-Regierung.

Nach seinem knappen Sieg in der Stichwahl (52:48 Prozent) verbannte der neue Ministerpräsident beide Rivalinnen aus dem Kabinett. "Die Partei ist gespalten. Konnte Sturgeon die sozial-konservativen und progressiven Flügel einigermaßen zusammenhalten, wird es Yousaf enorm schwer finden, die entstandenen Fliehkräfte wieder einzuhegen", analysierte damals der Edinburgher Soziologe Jan Eichhorn. Mit dieser Prophezeiung hat der Wissenschaftler recht behalten.

Neben personellen Querelen und der unappetitlichen Finanzaffäre um Sturgeon und deren Ehemann Peter Murrell - gegen den langjährigen SNP-Generalsekretär wurde vergangene Woche Anklage wegen Unterschlagung erhoben - haben die Nationalisten zuletzt aber auch inhaltlich schwere Niederlagen erlitten. Der Londoner Supreme Court hat einem "konsultativen" Unabhängigkeitsreferendum ohne Zustimmung durch die Zentralregierung einen Riegel vorgeschoben. Bei der Volksabstimmung vor zehn Jahren hatten sich die Bürger mit 55:45 Prozent für den Fortbestand der Union entschieden.

Umstrittenes Transgender-Reformgesetz

Ein hochumstrittenes Transgender-Reformgesetz scheiterte am Widerstand der konservativen Regierung unter Premier Rishi Sunak. Das Vorhaben sollte allen Menschen über 16 Jahren die rechtlich gültige Neueinstufung nach sechs Monaten und ohne ärztliche Beteiligung ermöglichen; stattdessen gilt weiterhin die britische Gesetzeslage, wonach Transsexuelle mindestens 18 sein, ein ärztliches Attest sowie eine Übergangszeit von zwei Jahren nachweisen müssen.

Die winzige Minderheit – bei der jüngsten Volkszählung des Statistikamtes ONS identifizierten sich rund 24.000 Menschen unter den knapp fünf Millionen Schotten über 16 Jahren als Transsexuelle – geriet kürzlich wieder zwischen die politischen Fronten. Nach jahrelanger Arbeit legte die frühere Präsidentin des Pädiater-Verbandes Hilary Cass dem Londoner Parlament einen umfangreichen Bericht vor. Darin bemängelt die erfahrene Kinderärztin einen Mangel an seriöser Forschung zum Transgender-Thema, nicht zuletzt zu den Folgen der Verabreichung von Pubertätsblockern. Das schottische Nationale Gesundheitssystem NHS verfügte deshalb vergangene Woche einen vorläufigen Stopp für solche Medikamente, was besonders bei den Grünen für Empörung sorgte.

Klimaziele nicht erreichbar

Die Öko-Partei befand sich ohnehin schon in Aufregung, weil die Edinburgher Klimaschutz-Politik an der Realität zu scheitern droht. Ebenfalls vergangene Woche musste SNP-Ministerin Mairi McAllan einräumen: Die noch aus Sturgeons Amtszeit stammenden ehrgeizigen Ziele auf dem Weg zu Net Zero werden nicht eingehalten. Bis 2030 sollte der Ausstoß Klima-schädlicher Emissionen um 75 Prozent reduziert werden. "Das können wir nicht erreichen", sagte McAllan.

Genervt von den Rückschlägen an der Transgender- und Klima-Front setzten grüne Aktivisten einen Sonderparteitag für kommenden Monat durch – eine schwere Belastungsprobe für den Regierungspakt mit der SNP. Yousaf geriet unter innerparteilichen Druck von jenen, die der Zusammenarbeit mit der Öko-Partei schon immer skeptisch gegenüberstanden. Am Donnerstagvormittag trat der Regierungschef die Flucht nach vorn an: Er entließ die grünen Staatssekretäre und erklärte die vertragliche Zusammenarbeit für beendet. Das sei "im nationalen Interesse", gab sich der 39-Jährige staatstragend und sprach davon, er werde wie seine Vorgängerinnen in früheren Legislaturperioden als Leiter einer Minderheitsregierung amtieren.

Misstrauensvotum angekündigt

Ob das gelingt? Umgehend kanzelte der konservative Oppositionsführer Douglas Ross den SNP-Boss als "gescheitert" ab und kündigte ein Misstrauensvotum an, das frühestens kommenden Donnerstag stattfinden kann. Dem Block von 63 SNP-Mandatsträgern stehen im Parlament von Holyrood 65 Abgeordnete der Opposition gegenüber. Wenn Yousaf auf die Unterstützung der Grünen gehofft hatte, sah er sich rasch getäuscht. Der einstige Partner sei "schwach" und kusche feige vor den konservativen Kräften in seiner Partei, teilte Ex-Staatssekretär Harvie der BBC mit. Am späten Donnerstagnachmittag legte sich seine 7-köpfige Fraktion auf ein Nein gegen Yousaf fest.

Weil auch Torys, Labour und Liberaldemokraten geschlossen gegen die seit 17 Jahren amtierende SNP stimmen dürften, wächst der einzigen Alba-Vertreterin Regan hohe Bedeutung als Zünglein an der Waage zu. Von der gelernten PR-Expertin und einstigen Staatssekretärin war am Donnerstag nichts zu hören. Hingegen trat ihr Parteichef Salmond umso lieber vor die Kameras. "Yousaf hat alle Oppositionsparteien beleidigt. Das ist nicht sonderlich klug, wenn man einer Minderheitsregierung vorsteht", höhnte der 69-Jährige. Der einstige Ministerpräsident war zu Beginn seiner Amtszeit von 2007 an für vier Jahre selbst von wechselnden Mehrheiten abhängig. (Sebastian Borger aus London, 25.4.2024)