Josef Aschbacher deutet vor einem Poster auf eine Sonde mit vier flügelartigen Solarpaneelen, die um den Mond kreist.
Generaldirektor Josef Aschbacher blickt optimistisch in die Zukunft der Esa. Sie steuert mehrere Teile für die geplante Mondorbit-Station Lunar Gateway bei, unter anderem das European Service Module (im Bild), das dem Raumschiff Orion Antrieb verleiht.
Pascal Rossignol / REUTERS

Die Nasa ist überall: Jeder Weltraumfan auf der Welt kennt die Abkürzung der US-Raumfahrtbehörde, ihr Logo ist auf T-Shirts zahlreicher Fast-Fashion-Marken zu finden. Neben dieser großen Schwester wird die europäische Weltraumorganisation Esa, zu deren Budget auch Österreich über das Klimaschutzministerium einen finanziellen Beitrag leistet, meist unterschätzt.

Dabei muss sie sich nicht verstecken. Josef Aschbacher, der österreichische Geophysiker, der seit 2021 Esa-Generaldirektor ist, wird nicht müde, auf seine Steckenpferde hinzuweisen. Sie heißen Galileo und Copernicus. Das Satellitensystem Galileo navigiert um das Zehnfache exakter als GPS und andere Konkurrenten – auf ein paar Zentimeter genau –, obwohl es 20 Jahre Vorsprung aufholen musste. Seit 2023 ist es gratis nutzbar. Copernicus, das Erdbeobachtungsprogramm, hat neue Maßstäbe beim Sammeln von Klimadaten gesetzt, die helfen, die Klimakrise besser zu verstehen und zu prognostizieren.

Ein wichtiger Schritt wird der erste Start der Trägerrakete Ariane 6 im kommenden Juni oder Juli vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana sein, das zur EU gehört. Geht alles gut, bekommt Europa damit einen eigenen, unabhängigen Zugang zum Weltraum. Und in den kommenden Jahren fliegen dank des Artemis-Programms, an dem die Esa mitwirkt, erstmals wieder Menschen zum Mond. "Die Nasa kann ohne die Esa nicht auf den Mond fliegen", sagt Aschbacher. Er hat als Direktor dazu beigetragen, die Esa sichtbarer zu machen – nicht nur weil es mittlerweile einfacher ist, Esa-Fanartikel zu kaufen und zu produzieren.

Esa-Astronaut Matthias Maurer bei einem Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS: Er arbeitet an einem Modul, im Hintergrund die Erde.
Die 1975 gegründete europäische Weltraumorganisation Esa schickte bereits Astronauten wie den DeutschenMatthias Maurer (im Bild) und die Italienerin Samantha Cristoforetti zur Internationalen Raumstation, die in etwa 400 Kilometern Höhe über der Erdoberfläche fliegt.
IMAGO/NASA

STANDARD: Viele Firmen sind sowohl an der Raum- als auch an der Luftfahrt beteiligt, etwa Boeing, dessen neues Raumschiff Starliner am Ende der Woche erstmals mit Crew ins All fliegen soll. Zuletzt sind Fehlfunktionen bei Boeing-Flugzeugen durch die Medien gegangen. Inwiefern wirken sich solche Unsicherheiten auf den Raumfahrtbereich aus?

Aschbacher: Natürlich sind Luft- und Raumfahrt verwandt, aber nicht das Gleiche. Die Technologien funktionieren anders: Ein Flugzeug kann man warten und reparieren, einen Satelliten nicht. Daher sind die Anforderungen an die Raumfahrt viel härter. Bevor ein Satellit in den Weltraum kommt, werden alle Bauteile zigmal getestet auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Vibration, Hitze, kosmische Strahlung und im Vakuum. Satelliten beinhalten absolute Spitzentechnologie, die auf dem Boden oft noch nicht im Einsatz ist. Im Weltraum testen wir das Extrem aus und können diese Erfahrungen auf Materialien, Kommunikationssysteme und ähnliches am Boden und im Luftverkehr anwenden. In der astronautischen Raumfahrt müssen wir mit den Sicherheitsanforderungen nochmals höher gehen: Der Flug von Menschen ins Weltall mit den lebenswichtigen Versorgungssystemen und Sicherheitsfragen ist noch komplexer, aber auch umso spannender, was zum Beispiel die Forschung in der Schwerelosigkeit der Internationalen Raumstation betrifft.

Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher trägt einen blauen Anzug, eine schwarz gerahmte Brille, einen kurzen, grauen Bart und einen Esa-Pin am Revers.
Josef Aschbacher leitet seit März 2021 die europäische Weltraumorganisation Esa. Dass die Menschen in Wien oder Paris eher mit Nasa-Merchandise herumlaufen, stört ihn, aber mittlerweile wurde auch die Lizenz des Esa-Logos freigegeben, sodass jeder und jede mit einem passenden Vorschlag Fanartikel herstellen kann.
APA/TOBIAS STEINMAURER

STANDARD: Sie sagen immer wieder, das nächste Ziel ist der Mond. Mit den Artemis-Missionen sollen bald wieder Menschen zum Mond fliegen. In diesem Jahr gab es schon zwei erfolgreiche Landungen ohne Crew, eine durch Japan und erstmals auch eine durch einen kommerziellen Anbieter. Ist vonseiten der Esa eine solche Landung geplant?

Aschbacher: Es gibt derzeit mehr als 100 Missionen zum Mond weltweit, meist sind das ganz kleine Rovermissionen. Auch Europa hat einige in Vorbereitung. Wir sind an der Peregrine-Mission beteiligt gewesen und hatten ein Instrument an Bord. Leider ist die Mission nicht voll erfolgreich gewesen, aber unser Instrument hat die nötigen Messungen durchgeführt. Daneben hat Europa zwei wichtige Missionen beschlossen, die derzeit in Entwicklung sind: Mit "Moonlight" sollen Satelliten die Navigation und Kommunikation auf dem Mond bereitstellen. Wir wollen ein System ähnlich wie auf der Erde aufbauen, gemeinsam mit Partnern in Amerika, Japan und anderen Ländern. Das zweite große Projekt ist "Argonaut", das erste Frachtschiff im All, das etwa eineinhalb Tonnen Fracht von der Erde zum Mond bringt. Das soll alle ein bis zwei Jahre kontinuierlich eingesetzt werden und ist nötig, um auf dem Mond Wissenschafts- und Wirtschaftsaktivitäten aufzubauen. Es wird 3D-Drucker geben, es wird Regolith in Baustoffe umgewandelt und Sauerstoff produziert werden. Das alles dauert natürlich, es wird in der nächsten Dekade beginnen und sich intensivieren. Wir sind ganz am Beginn dieser neuen Mondwirtschaft.

Esa-Generalsekretär Josef Aschbacher sitzt im schwarzen Anzug und schwarzer Brille neben Reserveastronautin Carmen Possnig im schwarzen Esa-Polohemd mit roter Brille in einem Wiener Kaffeehaus.
Die österreichische Reserveastronautin der Esa, Carmen Possnig, könnte schon in einem Jahr ins All fliegen, wenn ein passendes Projekt zustande kommt und die Finanzierung passt.
Regine Hendrich

STANDARD: Mit Carmen Possnig ist eine Österreicherin im Kader der zwölf Esa-Reserveastronauten. Ihr schwedischer Reservekollege Marcus Wandt ist Anfang des Jahres per privaten Raumflug mit Axiom Space zur Internationalen Raumstation ISS geflogen – noch vor den fünf Astronautenkandidatinnen und -kandidaten des Jahrgangs, die kürzlich ihren Abschluss feierten. War das unerwartet?

Aschbacher: Nein, die Reserveastronauten waren genau für den Zweck ausgewählt, solche Flugoptionen wahrzunehmen. Überraschend und positiv war, wie schnell das ging. Schweden hat das schnell organisiert, auch die Finanzierung, das lief zusammen mit uns als Esa und dem Betreiber Axiom reibungslos, weil die Esa diese Mechanismen bereits 2021 in der "Astronaut Policy" mit den Mitgliedsländern vereinbart hat. Das zeigt, dass die Esa agiler und schneller wird. Als sich die Möglichkeit für Marcus Wandt ergeben hat, haben wir einerseits innerhalb kürzester Zeit alle Verträge mit Schweden, Axiom und den ISS-Partnern abgeschlossen. Andererseits haben wir die Experimente vorbereitet, mehr als 20 hat er während seines Aufenthalts in der Schwerelosigkeit betreut. Ich habe in der Esa viel Druck ausgeübt, um das so rasch durchzuführen. Damit konnten wir beweisen, dass wir schnell und schlagkräftig sind.

STANDARD: Wann könnte Carmen Possnig frühestens ins All fliegen, wenn man jetzt Gespräche darüber beginnen würde?

Aschbacher: Eines der wichtigsten Kriterien ist die Finanzierung. In Schweden hat sie sich im April 2023 manifestiert, der Flug war im Jänner 2024 – es hat also weniger als ein Jahr gedauert. Das Training braucht natürlich Zeit. Für Marcus Wandt haben wir bei der Esa ein komprimiertes Training über sechs, sieben Monate gemacht und dann die Experimente zusammengestellt, bevor er ins All fliegen konnte.

Der schwedische Esa-Astronaut Marcus Wandt trägt einen blauen Overall mit Esa-Logo und steigt winkend aus einem Flugzeug.
Carmen Possnigs Reserveastronautenkollege Marcus Wandt flog im Jänner zur Internationalen Raumstation – noch vor den fünf designierten Kandidaten der Esa-Astronautenklasse.
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STANDARD: Anfang Mai wird bekanntgegeben, an welchem Tag im kommenden Juni oder Juli erstmals die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 starten soll. Der Termin wird seit langem erwartet. Wie viel kostet der Raketenstart?

Aschbacher: Die Preisliste ist für kommerzielle Kunden abhängig von der Marktsituation und wird für öffentliche Institutionen teils noch verhandelt. Die öffentliche Hand zahlt jährlich zwischen 290 und 340 Millionen Euro, um die Produktion zu unterstützen. Dabei gehen wir von neun Flügen pro Jahr aus.

STANDARD: Das ergibt einen Zuschuss von 32 bis 38 Millionen Euro pro Flug.

Aschbacher: Das ist nicht ungewöhnlich. Wenn Sie einen Flug mit der Falcon 9 (eine Space-X-Trägerrakete, Anm.) kaufen, unterstützt die US-amerikanische Regierung das in derselben Größenordnung.

STANDARD: Ist das auch ein Aspekt, wie sich die Esa mit Ariane 6 gegenüber Konkurrenz behaupten kann – etwa angesichts recycelbarer Raketen wie Starship?

Aschbacher: Absolut. Ariane 6 wird eindeutig kostengünstiger sein als ihre Vorgängerin Ariane 5, das war auch eine Motivation, sie zu entwickeln. Sie wird auch flexibler sein aufgrund ihrer oberen Stufe, die mehrmals zündbar ist, das heißt: Sie kann einen Satelliten aussetzen und nochmals gezündet werden, um in eine andere Umlaufbahn zu fliegen und dort andere Satelliten auszusetzen. Diese Flexibilität ist einzigartig, das kann auch die Falcon 9 nicht. Und sie ist anpassbar an verschiedene Lasten, die in den Weltraum transportiert werden.

Visualisierung einer Ariane-6-Trägerrakete im All.
Einmal gestartet, soll die Esa-Schwerlastrakete Ariane 6 Satelliten aussetzen und anschließend nochmals gezündet werden können.
ESA / D. Ducros

STANDARD: Wie kann sich Europa in Bezug auf den Weltraum zukunftsfähig aufstellen – auch was die Abhängigkeit von den USA und die geopolitische Lage mit Russland angesichts des Ukrainekriegs angeht? Was braucht es dafür?

Aschbacher: Es braucht sehr viel. Was Europa hat, ist die Exzellenz, also die technologischen Kapazitäten. Wir haben fantastische Talente – Ingenieure, Projektmanager, Wissenschafter. Natürlich sind wir bei der öffentlichen Förderung nicht mit Amerika vergleichbar. Die staatlichen Gelder für die Raumfahrt sind in den USA etwa viermal so hoch wie in Europa, daher kann sich dort der kommerzielle Sektor viel leichter entwickeln. Das ist sicher eine der Schwächen Europas. Gerade in Amerika führt diese öffentliche Unterstützung dazu, dass sie vom Ingenieursbereich über Informationstechnologien, Künstliche Intelligenz und Quantentechnologie in vielen Bereichen dominant sind. Firmen wie Microsoft, Apple und Google sind direkt oder indirekt das Produkt der Mondlandung in den 60er-Jahren, weil sehr viel in Ausbildung und Technologien investiert wurde. Europa sollte als eigentliche Technologiemacht auch den Weltraum nutzen, um diese Bereiche voranzutreiben. Auch privates Risikokapital für Raumfahrt ist bisher in den USA deutlich einfacher zu erhalten – das wollen wir aber in Europa ebenfalls kräftig anschieben.

STANDARD: Wie weit sind Sie mit Ihren Plänen bisher gekommen?

Aschbacher: Die Pläne sind groß. Bei den Ministerratskonferenzen alle drei Jahre werden Programme definiert und von den Esa-Mitgliedsländern unterzeichnet. Die letzte im Jahr 2022 in Paris war ein absoluter Erfolg mit einem Rekordbudget von 17 Milliarden Euro – 17 Prozent mehr als für die drei Jahre zuvor, mit der Inflation obendrauf sogar 30 Prozent Zuwachs. Trotz Covid, Krieg in der Ukraine und Wirtschaftskrise. Man hat erkannt, dass der Weltraum strategisch so wichtig ist für Sicherheit, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Ich hoffe, dass dieser Trend bei der nächsten Konferenz im kommenden Jahr weitergeht. (Julia Sica, 9.5.2024)