Puzzle in der Form eines Kopfes
Eine Demenz beginnt schleichend. Umso wichtiger sei es, ab 60 zur kognitiven Vorsorgeuntersuchung zu gehen, betont der Experte Winkler.
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Bei Demenzerkrankungen steht die Forschung noch immer vor einem großen Rätsel. Bei diesen Krankheiten ist vieles noch unklar, die Ursachen sind oft nicht im Detail bekannt. Dementsprechend gibt es keine Heilungsmöglichkeiten und nur wenige Behandlungsoptionen.

Es gibt seit Anfang der 2000er nur eine Handvoll sogenannter Antidementiva, die das Fortschreiten einer Demenzerkrankung etwas bremsen können. "Aber sie alle setzen nicht an der Wurzel des Problems an, sie behandeln nur die Symptome und versuchen das Gedächtnis zu stärken", sagt Dietmar Winkler, Leiter der Gedächtnisambulanz an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

Neues Mittel mit "überschaubarer Wirkung"

Das könnte sich demnächst allerdings ändern – zumindest in kleinen Schritten. Denn tatsächlich soll noch heuer eine neue medikamentöse Therapie herauskommen, berichtet Winkler. Es handelt sich dabei um ein Medikament mit Antikörpern, die sich gegen das sogenannte Amyloid richten. Das ist jene Substanz im Gehirn, die bei Alzheimer-Betroffenen verklumpt und zu Ablagerungen, sogenannten Plaques, führt.

Das Mittel dagegen sei laut Winkler "ein entscheidender Fortschritt nach 20 Jahren". Allerdings wisse man aus den Studien zu dem Arzneimittel schon jetzt, dass diese neue Behandlungsmöglichkeit nur für einen kleinen Teil aller Demenzbetroffenen infrage kommen wird – nämlich nur für all jene, bei denen man im Gehirn diese sogenannte Amyloid-Pathologie nachweisen kann. "Und auch dann ist der Effekt überschaubar. Aber es ist dennoch erfreulich, dass sich was tut", sagt Winkler.

Antidepressivum gegen Vorstufe von Demenz

Eigentlich sollte man in der Forschung und Behandlung aber schon deutlich früher ansetzen, findet der Experte. Schon seit längerem befasst er sich in der Forschung daher mit Betroffenen des Mild Cognitive Impairment (MCI), also einer milden kognitiven Beeinträchtigung. Dazu gehören all jene, die das Gefühl haben, ihre Gedächtnis funktioniere nicht mehr so gut, wie es eigentlich sollte: Alles muss notiert werden, Einkaufen ohne detaillierte Liste ist unmöglich, und man kann sich Namen nicht so gut merken. Gleichzeitig finden sich im Gehirn schon typische Abbauzeichen.

"Das Ganze ist sozusagen eine Vorstufe für eine Alzheimer-Demenz. Diese Patientinnen und Patienten haben ein zehnmal so hohes Risiko, später Alzheimer zu entwickeln", erklärt Winkler. Allen ab 60 Jahren rät er zu einer Vorsorgeuntersuchung mit kognitivem Check und möglicherweise einer Bildgebung des Gehirns, wenn ein erhöhtes Demenzrisiko vorhanden ist. Für ebendiese Risikogruppe gibt es aktuell keinen fundierten Behandlungsansatz. Die verfügbaren Antidementiva zeigen in Untersuchungen keinen guten Effekt bei Menschen in diesem Vorstadium. Möglicherweise könnte aber ein Antidepressivum künftig bei der Behandlung dieser Risikogruppe eine entscheidende Rolle spielen.

Anlass zur Hoffnung

Als vor etwa zehn Jahren ein neuer Typ Antidepressivum zugelassen wurde, hat sich in den Zulassungsstudien dazu gezeigt, dass das Medikament nicht nur bei depressiver Stimmung hilft, sondern auch das Gedächtnis verbessert und die Konzentration steigert. Winkler und sein Team haben daher schon vor einigen Jahren mit einem Forschungsprojekt begonnen, um zu schauen, ob sich dieser Effekt auch auf das Mild Cognitive Impairment übertragen lässt.

Im Rahmen einer Placebo-kontrollierten Studie werden MCI-Patientinnen und -Patienten mit dem Antidepressivum behandelt. In dem zwölfwöchigen Untersuchungszeitraum werden jeweils drei fMRTs durchgeführt. "Wir schauen den Betroffenen dadurch quasi beim Denken zu und wollen verstehen, was die Substanzen genau im Gehirn machen", sagt Winkler. Die Studie läuft noch bis Ende diesen Jahres. Aktuell werden auch noch Probandinnen und Probanden zwischen 50 und 80 Jahren gesucht (Infos dazu unten in der Infobox).

Es gibt zwar noch keine Zwischenergebnisse der Erhebung, aber durchaus Anlass zur Hoffnung. Forschende aus Singapur hatten nämlich eine ähnliche Idee und eine nahezu gleiche Studie mit einer etwas anderen Methodik durchgeführt – und durchaus positive Ergebnisse erzielt, vor allem in Hinblick auf die Merkfähigkeit. "Das stärkt unsere Studie", freut sich Winkler – und er ist zuversichtlich, dass sich auch abseits davon im Bereich der Demenzerkrankung in den kommenden Jahren einiges tun wird: "Die Forschung ist noch lange nicht am Ende." (Magdalena Pötsch, 9.5.2024)