Containerschiff der Reederei MSC im Hafen von Piräus.
Über den Hafen von Piräus sollen chinesische Güter nach Europa verfrachtet werden. Auf dem Weg nach Mitteleuropa gelten Serbien und Ungarn als wichtige strategische Partner der Neuen Seidenstraße Xi Jinpings.
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Fünf Tage weilt Chinas autoritärer Staatschef Xi Jinping in Europa – sein erster Besuch seit fünf Jahren. Nach zweieinhalb diplomatisch angespannten Tagen an der Seite Emmanuel Macrons in Frankreich ging es für Chinas Präsidenten nach einem Zwischenstopp in Serbien weiter nach Ungarn. Beiderorts ist es für ihn deutlich gemütlicher, gelten sowohl Ungarns Premier Viktor Orbán als auch Serbiens Präsident Aleksandar Vučić als freundlich gesinnt. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum Xi statt Berlin und Brüssel lieber Belgrad und Budapest bereist.

Eine Rolle spielt dabei eines von Xis Lieblingsprojekten, das der Neuen Seidenstraße. Für das als weltumspannendes Projekt beworbene Vorhaben, mit dem Aufträge gesichert und neue Märkte erschlossen werden sollen, gelten sowohl Serbien als auch Ungarn als zentrale europäische Bestandteile. "In Südeuropa betreibt China einen der leistungsstärksten Containerhäfen des Mittelmeers", erklärt Mario Holzner im STANDARD-Gespräch. "Richtung Mitteleuropa geht es dann von Piräus aus über die Infrastruktur Serbiens und Ungarns", so der Direktor des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) weiter.

Chinesische Kredite für wichtige Zugverbindung

Für die nötige Modernisierung der Zugverbindung zwischen Belgrad und Budapest stellte China über Staatsbanken erhebliche Finanzmittel bereit. Eine Vorgangsweise, die auch in anderen Projekten zutage tritt. Wird nicht direkt investiert, fließt Geld über Kredite chinesischer Staatsbanken. "Die ganzen Infrastrukturprojekte sind ja keine chinesischen Geschenke, sondern Kredite zu Marktkonditionen", stellt Holzner klar. Nicht selten würden bei den Projekten gleich chinesische Baufirmen mit eingebunden, die mit ihren eigenen Arbeitskräften anrückten. "Es wird also nur bedingt Wertschöpfung im Land geschaffen."

Etwas anders verläuft es bei Großinvestitionen in die Automobilbranche, die als Motor der ungarischen Industrie gilt. Waren es bislang vor allem europäische Autobauer, die ihre Produktion nach Ungarn verlagerten, zieht China nun im Eiltempo nach. Erst im Dezember gab BYD bekannt, seine erste Fabrik auf europäischem Boden im südungarischen Szeged zu errichten. Über das genaue Investitionsvolumen herrscht Stillschweigen, es soll sich aber um eine der größten Investitionen der ungarischen Geschichte handeln.

Chinesische Elektroautos warten auf ihre Verschiffung.
Zwei Millionen Elektroautos sollen ab 2025 mit Batterien aus dem chinesischen CATL-Werk nahe Debrecen versorgt werden.
AFP

Noch schwerer dürfte lediglich die Errichtung einer neuen Batteriefabrik in Debrecen wiegen. Eigenen Angaben zufolge investiert der chinesische Batteriehersteller CATL 7,3 Milliarden Euro in das neue Werk, das 9000 Arbeitsplätze schaffen und künftig zwei Millionen Elektroautos pro Jahr mit Batterien versorgen soll.

Nächster chinesischer Autoriese in Ungarn?

Für Ungarn böten derartige Investments die Möglichkeit, verstärkt an der E-Mobilitätstechnologie teilzuhaben, sagt Holzner. "Die ganze Region ist schwer abhängig von der deutschen Automobilindustrie. Aber man ist vor allem bei Technologien auf ausländische Investitionen angewiesen. Deshalb wird versucht zu diversifizieren."

Ein weiterer Schritt der ungarisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen bahnt sich beim Besuch Xi Jinpings bei Viktor Orbán an. Medienberichten zufolge soll im Süden Ungarns ein weiteres Bauprojekt bekanntgegeben werden, kolportiert wurde eine Beteiligung des chinesischen Autoriesen Great Wall Motor (GWM). Eine offizielle Bestätigung seitens des Konzerns oder der Regierungen steht bislang aus, Ungarns Außenminister Péter Szijjártó mahnte vor Journalisten gar ein, keine Spekulationen zu verbreiten, da dies "Ungarns nationalen Interessen" schade.

So viel also zu den wirtschaftlichen Motiven Orbáns, seinem hohen Besuch aus China den roten Teppich auszurollen. Was aber verspricht sich China abseits verstärkter Handelsverbindungen davon? Und welche Rolle spielt Serbien?

Ungarn "letzter wahrer Freund Chinas"

"Ungarns Regierung ist der letzte wahre Freund Chinas in der gesamten EU", sagte Tamás Matura der Nachrichtenagentur AP. Dem China-Experten der Corvinus-Universität in Budapest zufolge sei es für Xi wichtig, in einem Land innerhalb der EU-Grenzen die Zelte aufzuschlagen, das ihm politisch wohlgesinnt ist.

Zur Erinnerung: Ministerpräsident Orbán lehnt sich in der EU regelmäßig gegen Vorhaben auf, unterhält gleichzeitig gute Beziehungen zu China, Russland und der Türkei. Bereits im Vorfeld des Treffens der beiden Staatschefs lobte Xi Ungarns "unabhängige" Außenpolitik. Außenminister Szijjártó stellte in Aussicht, zumindest 16 chinesisch-ungarische Deals im Zuge des Treffens über die Bühne bringen zu wollen. Das betreffe Investitionen in Infrastruktur und Bausektor ebenso wie in die Industrie. Insgesamt könnten Schätzungen zufolge heuer bis zu 30 Milliarden Euro über chinesische Unternehmen nach Ungarn fließen.

Chinas Präsident Xi Jinping und Ungarns Premier Viktor Orbán bei einem Treffen in Beijing im Oktober.
Innerhalb der EU sei Ungarns rechtsnationaler Premier Viktor Orbán der "letzte wahre Freund Chinas", sagt China-Experte Tamás Matura von der Corvinus-Universität in Budapest.
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Umgehung möglicher Strafzölle

Xi verspricht sich laut einem veröffentlichten Brief, dank Ungarn die Beziehungen Chinas mit der EU vor allem in Zentral- und Osteuropa aufrechtzuerhalten. Und auch im Hinblick auf mögliche Strafzölle aus Brüssel bringt sich Xi mit den Investments in Stellung. Die Kommission erörtert aktuell, die bestehenden Zölle von zehn Prozent auf chinesische Elektroautos zu erhöhen. Mit Fabriken innerhalb der EU könnte China seine E-Auto-Ambitionen vorantreiben, ohne von möglichen Strafzöllen betroffen zu sein.

Ungarn ist insofern ein praktischer Partner für die chinesische Führung – und vice versa. "Ungarn hält sich alle Optionen offen, auch abseits einer koordinierten EU-Politik", fasst WIIW-Ökonom Holzner zusammen. Und was innerhalb der EU Ungarn sei, sei außerhalb der Union Serbien. Aus geoökonomischer Sicht sei es das zentrale Land auf dem Balkan, um eine Verbindung zwischen dem Hafen Piräus und Zentraleuropa herzustellen; aus geopolitischer Perspektive "baut man auf einen Verbündeten, der vielleicht eines Tages in der Union sein wird". (Nicolas Dworak, 9.5.2024)